von Patrik Etschmayer / Quelle: news.ch / Freitag, 24. Dezember 2010 / 11:41 h
Die «Existenz als ständiger Kampf» ist eine Grundideologie, die immer wieder Menschen in ihren Bann zieht. Ob Kommunismus oder Faschismus, der Kampf gegen das implizit „Schlechte“, der absolute Konflikt, an dessen Ende das Paradies auf Erden steht, prägte die zweite Hälfte des 19. und das 20. Jahrhundert. Der Haken war einzig, dass bei einem Erfolg der entsprechenden Parteien, die diese Ideologien vertraten, keineswegs das versprochene Paradies am Ende stand. Im besten Falle versagten die Wunder-Ideologien und siechten langsam bis zum Kollaps dahin, im schlimmsten Falle wurde die Welt in einen Krieg getrieben, weil dies für die versagenden Diktaturen der einzig mögliche Weg schien, die an der Realität scheiternden Visionen doch noch zu verwirklichen – mit logischerweise desaströsem Ausgang.
Rein politischer Totalitarismus ist momentan zwar nicht in. Aber totalitäres Denken lässt sich auch ohne heilige Bücher wie 'Das Kapital' oder 'Mein Kampf betreiben, ja, es ist sogar einfacher. Die Hülsen 'Patriotismus' und 'Ruhe und Ordnung' sind an sich schon vortreffliche Munition in dieser Hinsicht, die schon immer gezogen haben.
Hinzu kommt eine sich rasch verändernde, verunsichernde geopolitische und ökonomische Lage, die Angst verursacht und auch bis ins eigene Land ihre Einflüsse spüren lässt, was Tür und Tor zu einer fundamentalistisch anmutenden Volk- und Heimat-Politik weit offen lässt.
Der SVP ging es schon vor der Wirtschaftskrise mehr als nur gut.
Schafe als Spiegel der Volksseele: Das SVP-Wahlplakat der Ausschaffungsinitiative /


Doch seit der Rezession, die jetzt zwar als überwunden gilt (für wen und wie lange, fragt man unwillkürlich), reagiert das Volk noch viel heftiger als je zuvor auf echte und wahrgenommene Bedrohungen, eine Paranoia, die sich aber vor allem gegen jene richtet, die im Alltag, auf der Strasse, im Quartier und am Bahnhof wahrnehmbar sind. Afrikanische Kleindealer, rumänische Einbrecherbanden, Roma-Bettler in der Einkaufszone, die gewalttätig auftretenden Jugendbanden mit Balkan-Hintergrund auf der Ausgehmeile.
Gegen dieses Strandgut der Globalisierung lässt sich leicht Stimmung machen. Auch den Autor machen diese Phänomene wütend, doch diese sind zu einem Teil Abfallprodukte des Handelns unserer eigenen Gesellschaft und des globalen Systems, das diese mit etabliert hat.
Die Drogendealer arbeiten in einem streng marktwirtschaftlichen Umfeld, die Einbrecherbanden ebenso. Wobei die von ihnen eingegangenen Risiken wesentlich grösser sind, als jene von Bankmanagern, die mit hoch riskanten Investmententscheidungen die Altersversorgung ihrer Kunden verspielten, aber trotzdem ihre Boni dafür bekommen.
Die SVP weiss genau, welche Bedrohung konkreter wahrgenommen wird: Wenn eine rumänische Bande für 20'000 Franken Wertgegenstände aus einem Einfamilienhaus mitgehen lässt, wird dies als wesentlich drastischer empfunden, als wenn die Pensionskassenguthaben, die in 25 Jahren fällig werden, um einen wesentlich grösseren Betrag schrumpfen. Diebstähle, die nur auf dem Papier stattzufinden scheinen, rufen in unserem in der Steinzeit geformten Gehirn viel stärkere Reaktionen hervor. Wer diese Schalter, die auf physische Gewalt, Bedrohung, Angst und Rudeldenken reagieren, am besten betätigen kann, hat in den heutigen Zeiten auch die beste Chance, in der direkten Demokratie zu punkten.
Die Mitte-Parteien hingegen versuchten durch lange Analysen, die logischerweise widersprüchliche Resultate zeitigten, ihren Weg in dieser neuen verwirrenden Welt zu finden und verloren deshalb ihr Profil, was sich auch in ihrem schrumpfenden politischen Gewicht reflektiert – FDP und CVP werden weiterhin verlieren, solange sie keine klare Vision präsentieren können.
In Zeiten der Angst und der (wahrgenommenen) Bedrohung gewinnen jene, die ganz klare und stringente Ziele verfolgen. Und wenn dieses Ziel – wie jetzt bei der SVP – eine mythische Schweiz wie in einer angeblich guten alten Zeit ist, werden viele Leute diesem Traum ihre Stimme geben, auch wenn dieser weder realistisch noch – zumindest in dieser Welt – erreichbar ist.