Regula Stämpfli / Quelle: news.ch / Mittwoch, 9. Februar 2011 / 09:14 h
Die Menschen auf der Strasse harren aus. Gegen direkte und indirekte Macht, die ihnen ein menschenwürdiges Leben verunmöglichen. Sie harren aus. Und wir sollten was tun. Doch was passiert?
Die Konten von Hosni Mubarak werden nicht eingefroren. Dem Eidgenössische Departement EDA fällt nichts Besseres ein, als schärfste Reisewarnungen auszusprechen. Angela Merkel sucht eine Schwarzwaldklinik für den korrupten Milliardär Mubarak und Sarkosy ist damit beschäftigt, die hervorragenden Klepto-Kontakte einiger seiner Regierungsmitglieder mit den arabischen und afrikanischen Despoten weichzuspülen. Morbus Berlusconi ist keiner Rede wert, der schlägt sicher was pornografisches vor. Die seit ihrem Amtsantritt völlig überforderte Hohe Repräsentantin der Europäischen Union, Cathy Ashton, verfasst ein Murmelcommuniqué mit leeren Worten. Alle zeigen, was wir Bürgerinnen immer vermuteten, doch nicht wirklich glauben wollten: Die Menschen, die wir ziemlich unengagiert und gleichgültig wählen, sind ebenso unengagiert und gleichgültig. Mut ist nicht festzustellen. Mut zeigen nur die Menschen in Tunesien und in Ägypten und ja, einige der Journalisten und Blogger, die ausharren und zeigen, was ist. Die auch sagen, dass was und wie es ist, alles andere als gut ist.
Eigentlich sollte das EDA nun Tunesien und Ägypten als Reiseländer par excellence empfehlen. Damit die jungen Demokratien gestützt werden. Klar, Ägypten ist noch nicht ganz soweit. Aber Tunesien schon. Also EDA: Gebt Tunesien frei! Doch genau das Gegenteil passiert und die deutschen und schweizerischen Touristendestinationen werden leergefegt.
Schon nehmen Dutzende von jungen Männern aus Tunesien ein Boot Richtung Lampedusa, da sie ohne Arbeit keine Aussicht auf Leben haben. Die Arbeit wurde ihnen von den Reiseveranstaltern in Deutschland und in der Schweiz genommen. Weil panikartig von den deutschen und schweizerischen Regierungen Tausende von Touristen zurückgerufen werden, obwohl gerade in Tunesien absolut keine Gefahr für die Touristen besteht.
Nur sicher mit Diktator? Strand in Nordafrika. /


Weshalb auch? Die Tunesier schmissen Ben Ali raus, nicht den Heiri Müller! Tunesien ist ein wunderbares Reiseland, die Franzosen und die Belgier sind alle dageblieben und braungebrannt zurückgekehrt. Die Dutzenden von deutschen und schweizerischen Hotels bleiben jedoch leer und die Souvenierläden werden geschlossen. Eine Katastrophe für die aufblühende Demokratie in Tunesien.
So. Ich war immer der Überzeugung, dass ich in Diktaturen nur dann reise, wenn ich dort arbeiten muss. Das habe ich die letzten Jahre strikt durchgehalten. Dagegen reisten Tausende von Schweizern und Deutschen frisch-fröhlich in die möglichsten und unmöglichsten Regionen dieser Welt, geschützt meist durch Reiseagenturen, die sich mit den lokalen Fürsten und den Kleptokraten gut zu arrangieren wissen. Und nun? Diktaturen sind eben cool - junge Demokratien nicht. Sieht eigentlich niemand, welche Message wir den jungen Männern in Tunesien und Ägypten mit unseren germanischen und helvetischen Sicherheitstouren senden? «Hey Jungs! Macht, wenn Ihr nicht anders könnt, mal einen auf Demokratie. Doch Geld bringen wir sicher nur den Kleptokraten!»
Was wir alle gegenüber Tunis und Kairo veranstalten ist unserer unwürdig. Vor lauter Angst wird festgesessen statt in Massen in den Süden geströmt. Statt sich als Botschaften für die Sicherheit ihres einheimischen Personals einzusetzen, ziehen sich alle zurück. Nichteinmischung – ha, ha, dass ich nicht lache! Für die Demokratie mischt man sich nicht ein, dafür engagiert man sich umso lieber in der ökonomischen Ausbeutung und in der Unterstützung von Autokraten, Diktatoren und korrupten Herrscherfamilien!
Wir haben tatsächlich alle die Ideologie, die uns dieses Gegenteil von Freiheit und Demokratie reinstopft, politisch durchsetzt und wieder und wieder propagiert, schon längst gefressen. Die Demokratievisionen der Menschen von Kairo und Tunis werden ausgesessen. Es gibt viel zu tun. Symbolisch und politisch. Doch eben: Das Gegenteil passiert.
Wehe, wenn nun aber in den nächsten Monaten hier in Brüssel und da in Bern irgendein Offizieller mir was über Demokratie und Freiheit vorquasseln will! Reden ist hier nur Schrott. Handeln ist Gold. Lasst uns deshalb alle dieses Jahr nach Tunesien reisen. Denn 2011 dürfen wir. Zum ersten Mal. Denn schliesslich haben dort die Menschen und nicht die Fetten, die schweizerische Bankkonten besitzen das Sagen...oder?