Patrik Etschmayer / Quelle: news.ch / Montag, 7. März 2011 / 11:25 h
Heute wächst die Empörung in Europa über die Massaker in Libyen und das passive Danebenstehen der EU und der USA. Dabei mischt sich die Wut und Trauer über die Opfer der Kämpfe mit der Furcht über einen Exodus von Flüchtlingsmassen aus dem nordafrikanischen Land.
Was hat das ambivalente Verhältnis eines Ex-US-Verteidigungsministers zu einem unterdessen hingerichteten Diktator mit einem Bürgerkrieg in Nordafrika zu tun? In beiden Fällen trat und tritt das offensichtlich moralisch Richtige hinter den Maximen der «Realpolitik» zurück, welche sich aus den polit-strategischen Überlegungen der Beteiligten ergeben.
Dies erklärt mithin auch, warum Weltpolitik oft in etwa so moralisch ist wie die «Vereinigung pädophiler Kinderschänder». Zuvorderst steht jeweils der eigene Vorteil – zumindest soweit er im Horizont des eigenen politischen Handelns wahr genommen wird. Moralisch begründet wird er dann mit absurden vordergründigen Legitimationen.
Die nur temporäre Verfügungsgewalt über die Macht ist grossartig und böte viel Gestaltungskraft. Doch der unbedingte Wunsch der Politiker, eine weitere Amtszeit an der Macht zu bleiben, führt dazu, dass jede Handlung nur im Hinblick auf die eigene Wiederwahl gerechtfertigt scheint. Demokratische Prinzipien stehen einem derartig kurzfristigen Handeln nur im Wege.
Und diese Wahlen werden ja nicht nur durch das Volk, sondern auch durch die Wirtschaft mitentschieden werden. So ist jeder politische Prinzipienentscheid, der die jeweils eigenen Interessen tangieren könnte, gefährlich. Geld stinkt bekanntlich nicht und so ist es in der Wirtschaft mit Moral nicht immer zum Besten bestellt.
Diese wahrgenommenen Vorteile – die keinesfalls reell sein müssen – führen denn zu teilweise desaströsen Fehlentscheiden, wie dem Putsch gegen die demokratische Regierung im Iran 1953, welche ein Vierteljahrhundert später zum Sturz des Schahs und der Installation der heutigen Mullah-Diktatur führte, oder eben der Unterstützung eines Tyrannen wie Saddam Hussein, der eben jene islamische Diktatur mit einem Krieg hätte schwächen oder gar stürzen sollen.
Desgleichen mit den arabischen Despoten, die nun entweder schon gefallen sind (Tunesien, Ägypten), wackeln (Bahrain) oder sich mit brutalster Gewalt an die Macht klammern (Libyen).
Shake-Hands der Hurensöhne: Rumsfeld und Hussein /


Auf einmal steht nun der Westen vor den Trümmern der eigenen Heuchelei und des Klammerns an den Status Quo. Spätestens am Ende des kalten Krieges hätte der Befreiung Osteuropas auch der Versuch folgen müssen, vom Westen unterstützte Unrechtsregime andernorts zu demokratisieren. Doch nichts dergleichen passierte.
Stattdessen wurden diese stärker denn je unterstützt, während der Druck auf die unterdrückten Völker stetig anstieg. Dass dabei ausgerechnet eine der am intensivsten gehätschelten und zugleich brutalsten Diktaturen, Saudi-Arabien, sehr aktiv den radikalen Islamismus unterstützte und so zum ersten Fanal des 21. Jahrhunderts am 9. September 2001 beitrug, ist eine der augenscheinlichsten Demonstrationen dieser moralischen Myopie von mindestens 4 Dioptrien: Der Vorteil einer gesicherten Ölversorgung wird durch die Förderung eines globalen, radikalen Islamismus gesichert, der eine weltweite Gefahr für die Werte darstellt, die der Westen selbst vertritt.
So haben die westlichen Regierungen taktiert, manipuliert und – völlig unmoralisch – einfach den eigenen Vorteil, die eigenen Chancen zur Wiederwahl, den wirtschaftlichen Gewinn, gegen die Menschenrechte von Millionen ausgespielt und schon damals, als noch niemand darüber sprach, das Leben hunderter, wenn nicht tausender Regimegegner in diesen Ländern geschädigt oder gar zerstört.
Wenn nun wieder der eigene Vorteil, das eigene Wohlergehen in Europa als erstes erwogen und analysiert wird, während in Libyen Regierungstruppen mit den erst vor kurzem aus Europa gelieferten Waffen die Aufständischen mit Artilleriefeuer belegen, dann folgt diese Taktiererei eigentlich nur einer schlüssigen Logik. Doch Rauchsäulen über Städten und Leichen in notdürftigen Lazaretten liefern nun den schlagenden Kontrast, der fehlte, als das Unrecht noch im Verborgenen begangen wurde, man locker weg schauen konnte und die guten Geschäfte die Handelsbilanzen aufbesserten.
Sicher, ethisch zu handeln kann Geld und Arbeitsplätze kosten, doch wenn erst einmal der moralische Bankrott erklärt werden muss, geht auch etwas noch Wichtigeres verloren: Der letzte Rest der Glaubwürdigkeit. Oder um auf Herrn Rumsfeld zurück zu kommen: Wer mit Hurensöhnen paktiert, wer mit Tyrannen kuschelt und Despoten hätschelt, der begibt sich auf das genau gleiche Niveau hinunter, auf dem diese schon sind. Von dem her darf es uns nicht wundern, wenn das Ansehen des Westens bei den Völkern in der dritten Welt in etwa so gross wie jenes eines Mubaraks oder Gaddafis ist.