Eine «ästhetische und literarische Revolution!», jubelten die Kritiker beim Erscheinen von Kristofs erstem Roman «Das grosse Heft» 1986. Er erzählt von neunjährigen Zwillingsbrüdern, die sich mitten im Krieg autodidaktisch zu Überlebensmonstren bilden.
Sie üben Gefühlskälte, hungern, betteln, stehlen und töten - weil man das in ihrer Situation «können muss». Bombardierungen und Judenverfolgung, aber auch homosexueller Sadomasochismus und Sodomie werden mit eiskalter Klarheit und mit kompromissloser Knappheit beschrieben.
Bemühungen, das Werk deshalb an Schulen zu verbieten, sind aber bis heute gescheitert. Mit der Trilogie «Das grosse Heft», «Der Beweis» und «Die dritte Lüge» (1986-92) habe sie ursprünglich eigene Kindheitserinnerungen für ihre Nachkommen festhalten wollen, sagte die Autorin einst.
Unerträgliche Wahrheit
Die Verwandlung des Faktischen ins Literarische lässt sie einen ihrer Protagonisten so schildern: «... ich versuche, wahre Geschichten zu schreiben, aber ab einem bestimmten Moment wird die Geschichte unerträglich, eben weil sie wahr ist, und dann muss ich sie ändern.»
Das Unerträgliche ist durchaus autobiografisch: Am 30. Oktober 1935 im ungarischen Dorf Csikvánd geboren, wurde Kristof mit neun Jahren von ihren Eltern zur Grossmutter in eine Kleinstadt an der österreichischen Grenze gebracht.
Preisgekrönt: Agota Kristof erhielt zahlreiche Litaraturpreise (Symbolbild). /


Noch stärker entwurzelt fühlte sie sich, als sie mit 15 in ein Internat kam. Damals entstanden erste Gedichte. Nach der Matura heiratete sie ihren Geschichtslehrer und flüchtete mit ihm und dem gemeinsamen Baby 1956 in die Schweiz. Dass ihnen eine Wohnung in der Romandie zugewiesen wurde, sei Zufall gewesen.
Dichten im Arbeitstakt
Kristof musste neben Haushalt und Kind in einer Uhrenfabrik arbeiten. Der Job war streng und monoton, doch die rhythmischen Maschinengeräusche reaktivierten, wie sie sagt, ihre lyrische Kreativität. Die ungarischen Gedichte, die ihr beim Arbeiten einfielen, notierte sie in den Pausen.
Daneben lernte sie Französisch, unter anderem an der Uni. Ab 1978 wagte sie, auf Französisch Hörspiele und Theaterstücke zu schreiben. Das Schweizerische Literaturarchiv, das ihren Vorlass erhalten hat, verzeichnet 23 Dramen.