Die treuen englischen Fans haben ihrem Team während Jahrzehnten bei praktisch jeder EM- oder WM-Partie einen Heimvorteil verschafft. In der Ukraine jedoch wollen so wenige Anhänger wie wohl noch nie die «Three Lions» in deren Gehege sehen. 4500 der insgesamt 7500 Karten, die der englische Verband für den Match gegen Frankreich erhalten hatte, wurden wieder retourniert und gingen in den freien Verkauf. Es wird gar befürchtet, dass nur 2000 Schlachtenbummler in der 50'000 Zuschauer fassenden Donbass Arena Platz nehmen werden.
Die Wirtschaftskrise, die Englands Stammklientel - die untere Mittelschicht - schwer trifft, mag dafür ein Grund sein, dazu hielt vielleicht die Infrastruktur in der Ukraine die Fans vor einem Trip in den Osten ab. Ganz sicher aber sind auch rein sportliche Gründe für das Desinteresse verantwortlich. Die zahlreichen Ausfälle haben dem Optimismus schwer zugesetzt. Stürmerstar Wayne Rooney ist für die ersten beiden Vorrundenspiele gesperrt, die Mittelfelspieler Frank Lampard und Gareth Barry mussten sich ebenso verletzt abmelden wie Verteidiger Gary Cahill, John Terry ist nicht richtig fit, hinzu kam die Polemik um den vom einstigen Schweizer Nationalcoach Roy Hodgson ausgemusterten Abwehr-Crack Rio Ferdinand. An vier der sechs letzten EM-Endrundenturniere sind die Engländer schon in der Gruppenphase gescheitert. Die Befürchtungen sind gross, dass auch diesmal keine dicken Stricke zerrissen werden.
«Der Glaube ist gestorben»
Die Zeitung «The Telegraph» machte dies auf drastische Weise deutlich: «Der Glaube ist gestorben, dass England eine grosse Fussball-Macht ist. Wir sind Müll, und das wissen wir.» Die Favoritenrolle, die sind die Engländer jedenfalls für den Start-Match los. Frankreich hat seit der desaströsen WM von 2010 unter der neuen Führung von Trainer Laurent Blanc eine bemerkenswerte Serie hingelegt. Von 21 Spielen gewannen die Franzosen deren 15, verloren haben sie nie. Sie verfügen über eine stabile Abwehr, und ihr Potenzial in der Offensive ist mit Stars wie Franck Ribéry, Samir Nasri und Karim Benzema beeindruckend.
Auch die EM-Endrundenbilanz spricht für Frankreich, das gegen England noch nie unterlag. Zuletzt trafen die beiden Teams 2004 in Portugal aufeinander, 2:1 siegten die Franzosen. Die letzte Niederlage überhaupt datiert von 1997. Nicht einmal das Wetter meint es gut mit den Engländern. Für den heutigen Spieltag werden in Donezk hitzige 32 Grad erwartet.
«Die Stimmung ist besser geworden»
Laurent Blanc kennt den englischen Fussball aus eigener Erfahrung. In seiner langen Karriere wirkte er auch kurz bei Manchester United. «Wenn Engländer und Franzosen aufeinandertreffen, wird es auf physischer Ebene ganz hart. Einfach ist die Aufgabe nicht. Aber wir fürchten sie nicht mehr als jedes andere Team.» Die Franzosen wollen beweisen, dass unter Blanc eine Renaissance eingeleitet wurde.
«Three Lions»-Captain Steven Gerrard ist gefordert. /


Franck Ribéry, einer der Anführer der Revolte von 2010, ist vor allem gefordert, verlorenen Goodwill wieder zurückzugewinnen. «Die Stimmung ist besser geworden», sagt er, «das ist ein Verdienst von Laurent Blanc.»
Doping-Gerüchte um die Ukrainer
In der Ukraine sind die Erwartungen deutlich weniger hoch als beim Co-Gastgeber Polen, der zum Auftakt ein 1:1 gegen Griechenland erkämpfte. Vor sechs Jahren, nach dem bislang einzigen grossen Turnier, welches die Ukrainer bestritten, stand die Mannschaft auf Platz 13 der Weltrangliste. Damals, an der WM 2006 in Deutschland, schlugen sie im Achtelfinal die Schweiz im Penaltyschiessen und schieden erst in den Viertelfinals aus. Mittlerweile ist die Equipe im FIFA-Ranking auf Position 52 abgerutscht, und vor allem die Ergebnisse in den Vorbereitungsspielen lähmten die Euphorie. Es setzte für die Mannschaft von Altmeister Oleg Blochin kurz vor der EM Niederlagen gegen Österreich und die Türkei ab.
Schuld daran soll eine Lebensmittel-Vergiftung gewesen sein, die zehn Spieler in einem bayerischen Hotel im Trainingslager erlitten hätten. Die dortige Hotelleitung verwahrte sich entschieden gegen den Vorwurf von verdorbenem Essen. Die Geschichte scheint dubios, und dazu passend sorgten Aussagen von Alexander Sawarow, der 1988 mit der Sowjetunion im EM-Final gegen Holland verloren hatte, mächtig für Aufregung. Der heute 51-Jährige, bis Januar 2010 Trainer bei Arsenal Kiew, behauptet: «2009 hatten bei uns auch einige Spieler Magenprobleme. Ein paar Wochen später gab es bei einem unserer Spieler eine positive Dopingprobe. Leonid Mironow war der Arzt, der die Injektion gegeben hatte - und der ist heute Mannschaftsarzt beim ukrainischen Nationalteam.» Ein Problem haben die Ukrainer zudem auf der Position des Torhüters. Keiner der drei ursprünglich vorgesehenen Keeper ist verfügbar, zwei wegen Verletzungen und der dritte, Alexander Rybka, wegen einer Dopingsperre.
Farbliches Zuhause
Die Schweden werden sich in Kiew zumindest farblich ganz wie zuhause fühlen. Das Kiewer Olympiastadion wird in Gelb und Blau getaucht sein - den Landesfarben gleich beider Teams. Aber im Gegensatz zu ihrem Gegner haben die Skandinavier die Gewissheit, dass ihr Top-Star schlechthin auch wirklich in Form ist. Zlatan Ibrahimovic beendete die abgelaufene Saison in Italiens Serie A als bester Schütze. 28 Mal traf er für die AC Milan. Als 30-Jähriger befindet sich Ibrahimovic im besten Fussball-Alter. Auf Seiten der Ukrainer ist jedoch ungewiss, ob die mittlerweile 35-jährige Milan-Legende Andrej Schewtschenko mehr als Teileinsätze bestreiten wird.
Frankreich - England
Montag, 18.00 Uhr (live auf fussball.ch). - Donbass Arena, Donezk. - SR Rizzoli (It).
Voraussichtliche Formationen:
Frankreich: 1 Lloris; 2 Debuchy, 4 Rami, 5 Mexès, 3 Evra; 18 Diarra, 6 Cabaye, 15 Malouda; 11 Nasri, 10 Benzema, 7 Ribéry.
England: 1 Hart; 2 Johnson, 6 Terry, 15 Lescott, 3 Cole; 16 Milner, 4 Gerrard, 17 Parker, 19 Downing; 22 Welbeck, 11 Young.
Bemerkung: England ohne Rooney (gesperrt).
Ukraine - Schweden
Montag, 20.45 Uhr. - Olympiastadion, Kiew. - SR Cakir (Tür).
Voraussichtliche Formationen:
Ukraine: 12 Pjatow; 9 Gussew, 5 Kutscher, 20 Rakizki, 2 Selin; 11 Jarmolenko, 4 Tymoschtschuk, 18 Nasarenko, 19 Konopljanka; 22 Devic, 10 Woronin.
Schweden: 1 Isaksson; 2 Lustig, 3 Mellberg, 5 Martin Olsson, 4 Granqvist; 6 Elm, 9 Källström; 7 Larsson, 10 Ibrahimovic, 20 Toivonen; 11 Elmander.