Die Europameisterschaft endete am Sonntagabend für England wie so oft in den letzten 20 Jahren: Die Spieler irrten niedergeschlagen in der Spielfeldmitte umher, einige mit gesenktem Kopf, andere blickten ungläubig in das Weite der Arena. «Nicht schon wieder», lautete der Tenor bei den rund 6000 englischen Fans in Kiew, die das Stadion rasch verliessen und sich in die umliegenden Pubs verkrochen. Die Gesichter waren hinter den grossen Biergläsern bald einmal kaum mehr zu sehen.
Wahrscheinlich gingen die Anhänger in Gedanken nochmals das Penaltyschiessen durch. Oder vielleicht fragten sie sich einfach, wieso England die oftmals als Lotterie titulierte Kurzentscheidung so selten als Sieger verlässt. Eine befriedigende Antwort darauf gibt es nicht. «Im Training haben die Spieler die Elfmeter extrem gut getreten», berichtete Hodgson nach der Niederlage gegen Italien. «Doch die Nervosität, den Druck kann man nicht simulieren.»
Blick auf die WM 2014
Etwas später erzählten die Spieler davon, dass es die schlimmstmögliche Art sei, ein Turnier zu verlassen. «Wir sind alle am Boden zerstört», sagte Wayne Rooney. «Wir haben hart gearbeitet, um so weit zu kommen. Deshalb ist es besonders bitter, im Penaltyschiessen zu verlieren. Aber wir können erhobenen Hauptes gehen.» Wie Hodgson und viele Teamkollegen wies Rooney darauf hin, dass England über viele gute junge Spieler verfügt. England könne positiv in die Zukunft blicken.
Mit Danny Welbeck (21), Theo Walcott (23), Alex Oxlade-Chamberlain (18), Jordan Henderson (22) und dem verletzungsbedingt bei der EM abwesenden Jack Wilshere (20) besitzen die «Three Lions» vielversprechende Spieler. Das Turnier war von Beginn weg als Vorbereitungsphase auf die WM 2014 deklariert worden. Die Erwartungen an die EM-Mannschaft war gering gewesen im Mutterland des Fussballs, einige Journalisten bezeichneten sie als schwächste englische Equipe aller Zeiten. Doch sie schaffte es, die Fans in ihren Bann zu ziehen. Steven Gerrard kommentierte völlig richtig: «Jeder hat gesehen, dass die Spieler alles gegeben haben.»
Kritik an Taktik und Ausrichtung
Die kritischen Stimmen waren am Tag nach dem Ausscheiden rar.
Englands Nationaltrainer Roy Hodgson sieht positiv in die Zukunft. /


Niemand hatte Lust, gegen diejenigen übel nachzutreten, die schon am Boden lagen. Einer, der sich trotzdem kritisch äusserte, war der ehemalige englische Nationalcoach Graham Taylor. Er stellte die Taktik von Hodgson infrage. Das 4-4-2-System sei nicht ideal. Die meisten Mannschaften würden versuchen, das Mittelfeld zu stärken, um viel Ballbesitz zu erreichen: «Das schont die Kräfte. Die englischen Spieler wurden im Verlauf des Turniers immer müder.» Sie hätten den Ball zu selten in ihren Reihen gehabt und seien zu defensiv ausgerichtet gewesen. «Wir waren gegen Italien 120 Minuten lang nur das zweitbeste Team.»
Dass der italienische Sieg verdient gewesen war, hob auch der eben entlassene Tottenham-Coach Harry Redknapp hervor. «Ein englischer Erfolg wäre eine Ungerechtigkeit gewesen.» Die Italiener konnten nach 120 Minuten nicht nur 64 Prozent Ballbesitz vorweisen, sondern auch ein deutlich positives Schussverhältnis. Während der vierfache Weltmeister 20 Mal aufs Tor schoss, prüften die Engländer Gianluigi Buffon nur fünfmal. Es war zu wenig, um erstmals seit 1966 einen grosse Fussballnation bei einer Endrunde zu schlagen.
Kampf und Einsatz alleine reicht nicht - oder nur dazu, ein Turnier ehrenvoll zu verlassen. «Es gibt derzeit einfach Mannschaften, die deutlich stärker sind als wir. Das müssen wir akzeptieren», so Hodgson. Der ehemalige Schweizer Nationalcoach findet dennoch, dass sein Team in Polen und der Ukraine die Basis für eine bessere Zukunft gelegt hat «Schauen Sie, wo die Deutschen 2006 standen. Sie hatten eine junge Mannschaft, die nicht jeder kannte, sie hatten einen neuen Trainer, und sie hatten noch einige erfahrene Spieler. Jeder hat gesehen, was sich seitdem daraus entwickelt hat. Daran müssen wir uns orientieren. Wir müssen optimistisch bleiben.»