«Die erste Reaktion der Vereinigten Staaten muss Empörung sein», sagte der republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney.
Seit Monaten liefern sich Romney und Präsident Barack Obama im US-Wahlkampf ein knappes Kopf-an-Kopf-Rennen. Fast schien es, als liessen sie dabei den Rest der Welt aussen vor − bis es diese Woche zu zwei Anschlägen kam, die just auf den 11. September fielen, dem Jahrestag der Zerstörung des World Trade Centers im Jahr 2001.
Bei dem Anschlag auf das amerikanische Konsulat im libyschen Bengasi starben am Dienstag der amerikanische Botschafter, drei weitere Amerikaner und mehrere libysche Sicherheitskräfte. Auch in Ägypten kam es zu Ausschreitungen. In Kairo gelang es Protestierenden jedoch nur, an den Zäunen der Botschaft hochzuklettern, die amerikanische Flagge abzureissen und eine ihrer eigenen zu hissen.
Ersten Berichten zufolge könnte die Aufruhr in Kairo durch Ausschnitte eines obskuren Films ausgelöst worden sein, der von einem bislang kaum bekannten amerikanischen Israeli produziert wurde und in dem der Prophet Mohammed als Sexualtäter und Mörder dargestellt wird.
Film nur als Vorwand
In Libyen, wo die Angreifer schwer bewaffnet waren, gab es hingegen direkt nach dem Anschlag erste Spekulationen darüber, dass der Film nur als Vorwand und die Proteste vor dem Konsulat als Ablenkungsmannöver gedient haben könnten.
Vor den Angriffen hatte die US-Botschaft in Kairo eine Erklärung veröffentlicht, in der man Verständnis für die Protestierenden zum Ausdruck brachte. Man verurteile «die anhaltenden Versuche fehlgeleiteter Individuen, die religiösen Gefühle von Muslimen zu verletzen», hiess es dort.
John Kerry äussert sich wenig zurückhaltend über Romneys Äusserungen. /


«Ebenso verurteilen wir sämtliche Versuche, Gläubige gleich welcher Religion zu beleidigen.»
Das US-Aussenministerium teilte Journalisten mit, dass diese Meldung weder mit Washington abgesprochen worden sei noch den Standpunkt der Regierung widerspiegle - doch Romney nahm umgehend darauf Bezug:
«Für die US-Regierung darf es niemals zu früh sein, Angriffe auf Amerikaner zu verurteilen und unsere Werte zu verteidigen», sagte Romney. «Gestern Abend distanzierte sich das Weisse Haus von dieser Erklärung und behauptete, das Statement sei nicht von Washington abgesegnet worden. Das zeigt die verwirrenden Signale, die man von dort aus in die Welt sendet.»
Präsident Obama reagierte nicht unmittelbar auf Romneys Aussagen, doch John Kerry, Unterstützer Obamas und ehemaliger Präsidentschaftskandidat der Demokraten, hielt sich weniger zurück: «Solche Aussagen trifft man nicht, bevor man die Fakten kennt, bevor die Familien informiert worden sind und sich alles ein wenig gesetzt hat - das ist nicht nur unerfahren, das ist unverantwortlich. Es ist gefühlskalt und rücksichtslos.»
Laut unserer jüngsten Umfrage geniesst Obama beim Thema Aussenpolitik weiterhin einen klaren Vorsprung vor Romney: 54 Prozent der Wähler halten ihn auf diesem Gebiet für kompetenter; für Mitt Romney stimmten nur 42 Prozent.
Im Wahlkampf spielte dieses Ungleichgewicht kaum eine Rolle - zumindest nicht bis zu dieser Woche.
Nun kündigte die amerikanische Regierung an, die Sicherheitsvorkehrungen an allen diplomatischen Vertretungen weltweit zu erhöhen. Zudem wolle man eng mit Libyen zusammenarbeiten, um die Täter von Bengasi zur Rechenschaft zu ziehen.
Mit einem Mal könnte es in einem Wahlkampf, in dem es bislang vor allem um Wirtschaft ging, ein neues Thema geben: Libyen.
Jonathan Mann
Dieser Text stammt von Jonathan Mann, Moderator und Journalist bei CNN International. Seine Kolumne steht in der Schweiz exklusiv für news.ch zur Verfügung. Mehr über das US-Wahljahr 2012 unter http://edition.cnn.com/ELECTION/2012.