Reta Caspar / Quelle: news.ch / Donnerstag, 13. Juni 2013 / 08:42 h
In Frankreich gehen Zehntausende Traditionalisten mit der Behauptung auf die Strasse, die Legalisierung der Homo-Ehe gefährde die herkömmliche Familie. Und auch hierzulande wird mit den gleichen Argumenten gegen sexuelle Aufklärung und gegen das Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare gefochten. Die Freiheit für Menschen mit gleichgeschlechtlichen Gefühlen wird zur Bedrohung der eigenen Freiheit stilisiert, der die Freiheit gewährende Staat als Diktatur verschrien, wenn er die Dominanz der Tradition beschränkt.
Der US-Bundesstaat Kalifornien hat die sogenannten Konversionstherapien bei Minderjährigen deshalb seit Anfang dieses Jahres verboten und vor einigen Wochen schlug Volker Beck (Grüne) vor, auch in Deutschland die Jugendlichen vor solchen Angeboten zu schützen. Für Erwachsene sollen sie legal bleiben, um die grundgesetzlich geschützte allgemeine Handlungsfreiheit nicht in unangemessener Weise einzuschränken.
Protest gegen Homo-Ehe in Frankreich: Angst der Traditionalisten vor Verlust der Traditions-Dominanz. /


Eine vernünftige Position.
Evangelikale verurteilten Becks Vorhaben als «totalitär» und als Gefahr für die Gesellschaft. Etwas raffiniertere KritikerInnen sprechen von einer «Einschränkung der Behandlungsfreiheit für Jugendliche und der Diskriminierung von Menschen, die unter ihrer sexuellen Orientierung leiden». Ein Paradebeispiel des Freiheitsmissbrauchs durch Religiöse: Zuerst diskriminieren sie im Namen der Religionsfreiheit homosexuelle Menschen, um dann im Namen der Verfassung die Freiheit einzufordern, eine «Therapie» gegen die «Ursache» der Diskriminierung anzubieten und so ihr totalitäres Menschenbild durchzusetzen.
Neueste Forschungen sagen: Homosexualität ist - wie Heterosexualität - eine angeborene, biologisch fundierte und vollständig normale Variante des Begehrens. Aber auch diese Position ist nicht ganz frei vom Vorwurf der Totalitarismus. Weltweit sind nämlich etwa acht Prozent der Menschen nicht eindeutig heterosexuell orientiert, und nur zwei Prozent sind strikt schwul oder lesbisch.
Warum interessieren wir uns eigentlich so für eine klare Einordnung der Menschen? Weil es uns die Versicherung der eigenen Einordnung ermöglicht und weil wir so die Zuordnung Anderer zum potentiellen Sexualpartner-Pool vereinfachen können? Weil wir so dem Mythos von «Mann und Weib und ein Drittes gibt es nicht» verhaftet bleiben können, wider alle Einsicht, dass auch im uns verwandten Tierreich verschiedene sexuelle Präferenzen vorkommen? Einer aufgeklärten Haltung würde es entsprechen, seine traditionellen Vorstellungen angesichts von neuen Erkenntnissen zu revidieren.
Aus staatspolitischer Sicht gibt es keinen vernünftigen Grund, das Geschlecht und die sexuelle Orientierung der Menschen zu definieren und registrieren, denn der Staat soll daraus keinerlei Sonderbehandlung ableiten.