Patrik Etschmayer / Quelle: news.ch / Dienstag, 12. November 2013 / 09:09 h
Damit es gleich klar ist - hier kommt kein Auto-Bashing. Nein. Die Psychopathen im Strassenverkehr sind nicht auf eine Verkehrsgattung oder ein Verkehrsmittel beschränkt, der Schwachsinn findet interdisziplinär statt. Wobei glücklicherweise immer nur ein relativ kleiner Anteil der Verkehrsteilnehmenden permanent pathologisches Verhalten zeigt, die Tendenz aber nach oben zeigt.
Beginnen wir mit den simpelsten und schwächsten Verkehrsteilnehmern, den Fussgängern. Eigentlich sollte man annehmen, dass diese, sofern sie bei Sinnen sind, sich vernünftig verhielten, haben sie doch keinen Schutz und keine Knautschzone, wenn es zum Unfall kommt. Trotzdem gehen nicht wenige im Stil von Autisten über die Strasse, schwenken ohne geringste Vorankündigung auf den Fussgängerstreifen und starren die notbremsenden Auto- und Radfahrer indigniert an, statt dankbar zu sein, dass diese noch rechtzeitig reagierten.
Bei diesem Harakiri-Road-Crossing berufen sich diese Per-Pedes-Rüpel jeweils auf den Vortritt, den sie nach Art. 33 des Strassenverkehrsgesetzes auf dem Fussgängerstreifen hätten. Aber wie es immer so ist, mit Gesetzen, so gibt es auch noch andere Artikel, wie Nr. 49, der da lautet:
«Sie haben den Vortritt auf diesem Streifen, dürfen ihn aber nicht überraschend betreten.»
Alles klar, Ihr Fussgänger... ALLES KLAR??... Oh, der trägt ja Kopfhörer. Und latscht mit dem Rücken zum nahenden Verkehr in die Strasse, während er grade sein Twitteraccount (#Tiefsinn) aktualisiert: «Das Leben ist wie eine Strasse, die man überquert!». Auf das Hupen des Autofahrers dreht sich der Hipster wütend um und zeigt den Stinkefinger. Ja, das ist wahre Hochkultur. Doch das aggressive Gestikulieren von jenen, die soeben gedankenlos Verkehrsregeln gebrochen haben, gegenüber denen, die eindeutig im Recht sind, zieht sich quer durch den Verkehrszoo.
Dabei sind gewisse Radfahrer Spezialisten für diese Art der Idiotie. Wenn der Autor mit seinem Rad brav am Lichtsignal steht und auf grün wartet, kommt mitunter von hinten ein anderer Radler und drückt sich - unter Verwendung von Fussgängerstreifen und/oder totaler Missachtung des Lichtsignals vorbei und quert die Kreuzung, ganz egal, ob da noch wer anders kommt oder nicht. Und wenn wirklich wer kommt, wird schnell die Faust geschüttelt. Dass dann jeweils auch noch die Beleuchtung fehlt, ist das Tüpfelchen auf dem I: Es reicht jeweils nicht mal für ein 10-Franken LED-Set vom Grabbeltisch im Baumarkt aber dafür wird Laut «Rüpel!» geschrien, wenn ein Auto fast in den Tarn-Biker rein fährt, weil der in der Dämmerung einfach kaum zu sehen ist.
Es ist dabei nicht verwegen zu vermuten, dass der selbe Volltrottel sich fünf Minuten vorher mit High-Speed durch eine Fussgängerzone geschlängelt und die Passanten im Stil von Slalomkippstangen benutzt hat. Diesen interdisziplinär agierenden Rüpeln haben es Radfahrer zu verdanken, dass sie generell als Super-Rücksichstlos gelten, obwohl dies nur für einen kleinen Prozentsatz zutrifft, der glaubt, dass eine ökologische Art der Fortbewegung gleichzeitig einen Persilschein für schweinisches Verhalten im Verkehr ausstellt.
Kommen wir nun zu den Taliban des Strassenverkehrs, die wir allerdings in voller Pracht erst nächstes Frühjahr wieder sehen werden, den Motorradfahrern. Die Wut und der Eifer, mit der diese Spezies auf jede Kritik reagiert, ist dem Autor bekannt, hat er es doch einmal gewagt, einen besonders blöden Vorstoss der Zweiradlobby an dieser Stelle zu kritisieren. Die Folge war eine regelrechte Fatwa, inklusive handgreiflichen Drohungen, wie man sie so sonst nur von religiösen Fundamentalisten geschrieben bekommt. Trotzdem, liebe Tourist-Trophy-Verehrer: Passstrassen sind nicht die Rundstrecke der Isle of Man und auch wenn es nicht nachvollziehbar ist: Kaum jemand, der nicht Motorrad fährt, hält das schreiende Falsett einer auf 17'000 Umdrehungen pro Minute rauf drehenden Maschine für Musik - bei den meisten kommt dies als saumässiger Lärm rüber, der zudem auch gesetzlich verboten ist
(Art.



Auffahrunfall: Eigentlich ist die Strasse zu gefährlich für asoziales Verhalten (Archivbild). /


42 SVG: Der Fahrzeugführer hat jede vermeidbare Belästigung von Strassenbenützern und Anwohnern, namentlich durch Lärm, Staub, Rauch und Geruch, zu unterlassen). Und wenn ihr dabei seid, Kurven zu schneiden, denkt einfach dran, dass diese Saumode unterdessen auch bei den Autofahrern sehr populär geworden ist und Gegenverkehr auf diese Weise zum wirklich ultimativen Erlebnis werden kann.
Und ja, natürlich lassen wir die Autofahrer nicht aus und wenn hier die Liste länger wird, dann vor allem, weil das Auto rein durch Grösse und Ausstattung dem Lenker mehr Möglichkeiten bietet, Blödfahrer zu sein.
So fragt man sich immer wieder, ob die Betätigung des Blinkhebels eigentlich kostenpflichtig ist. Unwillkürlich bremsen Autofahrer ohne ersichtlichen Grund auf offener Strecke ab, nur um dann in eine Seitenstrasse abzubiegen. Blinken? Keine Spur. Beim Kreisverkehr könnte die Polizei eigentlich Blümchen an die verteilen, die korrekt signalisieren, wenn sie ausfahren - das wäre wesentlich weniger Zeitraubend, als Nichtblinker zu büssesn. Auf der Autobahn schliesslich ist das Blinken vor Spurwechseln fast schon Grund, eine kleine Feier abzuhalten. Da mag man sich schon fast nicht mehr über jene nerven, die erst bremsen und erst beim Abbiegen den Blinkhebel ganz kurz betätigen. Immerhin wissen die noch, wofür dieses Hebelchen an der Lenksäule dient.
Ein anderer Schalter wird - es fällt in dieser Jahreszeit wieder mehr auf - auch gerne gemieden: Der Lichtschalter. Ja, nicht nur Velofahrer mögen nicht gesehen werden, nein auch Autofahrer sind unter den Stromsparern! Dabei ist nicht nur die Gesetzeslage klar
(Art. 41 Vom Beginn der Abenddämmerung an bis zur Tageshelle und wenn die Witterung es erfordert, müssen die Fahrzeuge beleuchtet sein...), sondern auch der gesunde Menschenverstand sollte einem dies laut und deutlich sagen. Und nein, das Tagfahrlicht zählt nicht wirklich, denn hinten bleibt es bei diesem finster.
Die Aufzählung könnte natürlich noch beliebig länger werden, aber es soll nur noch eine Gattung erwähnt werden: Die Überholallergiker. Diese Automobilisten wissen genau, wie schnell sie und alle anderen zu fahren haben - auch weit unterhalb der angezeigten Höchstgeschwindigkeit auf freier, übersichtlicher Strecke. Deshalb versuchen sie, alle, die sie überholen wollen, daran zu hindern, in dem sie zum Beispiel beschleunigen, wenn ein anderes Auto zum Passieren ansetzt. Auf der Autobahn ist so etwas irritierend. Auf einer Landstrasse kann das hingegen für alle beteiligten lebensgefährlich sein. Ausserdem ist es verboten:
«Art. 35 Dem sich ankündigenden, schneller fahrenden Fahrzeug ist die Strasse zum Überholen freizugeben. Wer überholt wird, darf die Geschwindigkeit nicht erhöhen.» Doch Gesetze beeindrucken diese Menschen nicht. Wer es schliesslich doch noch vorbei schafft, sieht denn nicht selten Fäuste wackeln, Lichthupen aufflammen und/oder den vorherigen Langsamfahrer, der auf einmal gefährlich nahe am Heck klebt.
Was, so fragen sie nun vielleicht, sagt dies nun über unsere Gesellschaft aus? Das Verhalten auf den Strassen ist ein unzensierter Spiegel der Einstellung gegenüber den Mitmenschen. Ein bestimmter, nicht unwesentlicher Anteil zeigt hier ein offensiv asoziales Verhalten. Ein extrem interaktives System wie der Strassenverkehr ist auf Kooperation bei der Benutzung einer sehr beschränkten Ressource (dem Verkehrsraum) angewiesen, um möglichst gut zu funktionieren.
Kommt dazu, dass hier der Bruch der Regeln nicht selten zu Verletzungen oder gar zum Tod führen können und damit zusammen zu ganzen Katastrophenkaskaden, die weit über das eigentliche Schadenereignis hinaus gehen, wenn Familien so zerrissen werden.
Wer sich im Strassenverkehr also selbst in Situationen, wo es nicht auf eigentliche Verkehrskompetenz (nicht jeder kann gut Autofahren) ankommt, sondern um Anstand, Respekt und Achtung vor dem eigenen Leben und dem der anderen Verkehrsteilnehmer geht, falsch verhält, Gesetze und den gesunden Menschenverstand missachtet und trotz selbst gemachter Fehler den Missetäter nur im Anderen sieht, ist von Mitmenschen und Umwelt auf eine weise abgekoppelt, die Angst machen sollte. Zu all diesem kommt eine seit einigen Jahren grassierende Festungsmentalität (Stichwort SUV) dazu, sozusagen die passive Variante der Aggression.
Es spricht aus diesem Verhalten eine geistige Verrohung, eine Verachtung gegenüber dem einem unbekannten Mitmenschen heraus. Die Welt ist Feind und man bewegt sich in einer subjektiv beanspruchten Blase der Selbstgerechtigkeit, basierend nicht auf einem gesellschaftlichen Konsens, sondern auf dem propagierten Egoismus einer politischen Konfrontationskultur, die nur noch Gewinner und Verlierer kennt.
In diesem Sinne ist der Strassenverkehr durchaus eine Analogie zur ganzen Gesellschaft, in der Vorschriften, staatliche Reglementierungswut, egomanisches Verhalten der Akteure und die gelegentliche Katastrophe die Einsicht ersetzt hat, dass Kooperation und Kompromiss nicht Schimpfwörter, sondern die einzige Art sind, in einer vielfältigen Gesellschaft zusammen Leben zu können.