fest / Quelle: pd / Montag, 3. April 2023 / 18:23 h
Mehr als 400 Fotografien, von 1839 bis zu den 1890er Jahren, aus über sechzig öffentlichen und privaten Sammlungen, viele davon erstmals gezeigt, zeichnen gründlich und zugleich unterhaltsam die frühe Geschichte der Fotografie in der Schweiz nach.
Nachdem die Fotografie 1839 in Paris als französische Erfindung proklamiert worden war, eroberte das neue Medium in kürzester Zeit ganz Europa. Der Wettlauf um technische Verbesserungen ging zwar von den kulturellen Zentren aus, doch bald wurden die schweren Kameras auch in die Dörfer und aufs Land, in abgelegene Täler und auf die Berge getragen. In der Schweiz spielte der aufkommende Tourismus eine wichtige Rolle für das neue Geschäft mit der Fotografie. Neben dem Interesse an spektakulären Landschaften trugen der wachsende Bedarf an Porträts, die frühe Industrialisierung sowie technische Grossprojekte zum Aufschwung des Mediums bei.
Die hier präsentierte erste Übersichtsdarstellung der Schweizer Fotografie im 19. Jahrhundert beleuchtet die herausragenden Leistungen der Pioniere ebenso wie gesellschaftlich bedingte Besonderheiten, so etwa den frühen Einsatz der Fahndungsfotografie. Darüber hinaus untersucht sie die Wechselwirkungen zwischen den gleichzeitig existierenden Bildtechniken, mit Einbezug von Malerei und Druckgrafik. Dank Recherchen in unzähligen Archiven und Sammlungen in allen Landesteilen wurde bisher kaum bekanntes Bildmaterial zu Tage gefördert. Die hier gezeigte Auswahl berücksichtigt nicht nur die ästhetische Qualität, sondern auch die konkreten Gebrauchsweisen der Fotografie.
Äusserst fragile Objekte
Fast 60 öffentliche und private Leihgeberinnen und Leihgeber haben Werke aus ihren Sammlungen beigesteuert, um einen Überblick der ersten 50 Jahre der Fotografie in der Schweiz geben zu können. Viele verstreut aufbewahrte Originale wurden erstmals zusammengeführt, so dass sich ein klareres Profil einzelner Protagonistinnen und Protagonisten und wichtiger Themenkomplexe ergibt. Die Ausstellung ist in sieben Kapitel gegliedert.
Das erste Foto vom Matterhorn von John Ruskin, 1849 /

Adolphe Braun, Rhonegletscher, 1864, Albuminpapier. /

Adolphe Braun, Bau der Gotthardbahn, Tunneleingang in Airolo, 1881-1882, Albuminpapier. /

Anonym, Giovanni Sassella, 23-jährig, Lugano, 24. März 1842, Daguerreotypie. /


Die ersten zwei befassen sich mit dem Auftauchen eines ganz neuen Mediums: Wie konnte sich die Fotografie gegenüber herkömmlichen Bildtechniken etablieren? In welchem Zeitraum wurden Bilder auf beschichteten Kupferplatten fixiert, wann und wo wurden Abzüge auf Papier hergestellt? Die weiteren fünf Kapitel sind dem Einfluss des Tourismus, der Bedeutung der Porträtfotografie, den kommerziellen Aspekten, den künstlerischen Ansätzen und der Darstellung des Fortschritts gewidmet. Bei vielen Exponaten handelt es sich um äusserst fragile Objekte, die aus konservatorischen Gründen nur bei schwachem Licht ausgestellt werden dürfen.
In den ersten Sektionen der Ausstellung, die dem Anfang der Fotografie und damit der Daguerreotypie gewidmet sind, ragen - unter anderen - einige Schweizer Meister dieser Kunst heraus wie der aus Genf stammende Bankier, Diplomat und Laienfotograf Jean-Gabriel Eynard und der Graveur Johann Baptist Isenring, der mit seinen Portrait-Daguerreotypien von ?natürlicher Grösse? Berühmtheit erlangt. Es wird schnell klar, dass die Fotografie in ihrer ersten Entwicklungsphase bei der Auswahl der Motive und Sujets und der kompositorischen Prinzipien sowie bei ihrer Anwendung auch in der Schweiz sehr eng mit den anderen Künsten verflochten ist, vor allem mit der Malerei, die sie als echte Alternative zu kostengünstigen Portraits ersetzen wird, und der Grafik, der sie zu Diensten sein wird. Isenring verbreitete in der Schweiz die Nutzung der Fotografie als Modell für Gravierarbeiten, eine Technik, auf die auch die erste Fotografin Franziska Möllinger in ihren 1844 als Lithografien publizierten Ansichten aus der Schweiz zurückgreift.
Reisende mit Kamera
1842 entsteht eine der wenigen bekannten Daguerreotypien aus dem Tessin, das in Lugano entstandene Portrait eines elegant gekleideten unbekannten jungen Mannes - ein gutes Beispiel für ein aufsteigendes Bürgertum. Dank des externen Blicks von Reisenden werden die Grossartigkeit der Schweizer Landschaft und ihre Bergwelt fotografisch dokumentiert. Überraschend ist die unglaublich moderne Form der spektakulären Daguerreotypien des englischen Künstlers John Ruskin, von dem die ersten Fotografien im Tessin stammen, wie das Bild eines Felsens beim Castelgrande in Bellinzona (1858) oder die erste jemals entstandene Aufnahme des Matterhorns aus dem Jahr 1849.
Von da an wird die Fotografie zu einem mächtigen Instrument in der Tourismuswerbung, ein Prozess, den die Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur in der Schweiz begünstigt, die sich zeitgleich mit der Vereinfachung fotografischer Verfahren vollzieht (mit Glasnegativen und Drucken auf Albuminpapier). So verbreiten sich populäre Motive und touristische Hotspots wie der auf den Bildern des Engländers Francis Frith aus dem Jahr 1863 verewigte Staubbach Wasserfall in Lauterbrunnen. 1864 entsteht ein atemberaubendes Bild des berühmten französischen Fotografen Adolphe Braun, der die unendlichen Eisflächen des Rhonegletschers bei der Durchquerung durch eine Bergsteigergruppe ablichtet, der auch eine Frau angehört.
«Nach der Natur» wurde in Koproduktion mit der Fotostiftung Schweiz, Winterthur, und Photo Elysée, Lausanne, realisiert, und ist zu sehen im Standort LAC des MASI Lugano.
03.04 - 03.07.2022
LAC Lugano Arte e Cultura
Piazza Bernardino Luini 6
6900 Lugano
+41 (0)58 866 42 40
info@masilugano.ch
Öffnungszeiten
Di / Mi / Fr: 11 ? 18 Uhr
Do: 11 ? 20 Uhr
Sa / So / Feiertage: 10 ? 18 Uhr
Mo: geschlossen
*Sonderöffnungszeiten: Mo 10. April (10-18 Uhr)