von Patrik Etschmayer / Quelle: news.ch / Montag, 22. März 2010 / 11:18 h
Dies gefährde die Musik, die Musiker und die musikalische Kultur im Allgemeinen. Es bleibe also nichts anderes übrig, als noch härtere Gesetze gegen Raubkopierer zu fordern. Denn nur damit könne verhindert werden, dass sich die Entwicklung fortsetze. Denn der Einbruch auf der CD-Seite könne nicht durch legale Downloads ausgeglichen werden.
Unterlegt wurde dieses heute Morgen in den Radio-Nachrichten gesendete Lamento des schweizerischen IFPI-Chefs von einem EU-Report, in dem behauptet wird, dass Internet-Piraterie 1,2 Millionen Jobs in der Unterhaltungsindustrie kosten würde. Es wird in diesem Report zum Beispiel behauptet, dass der Unterhaltungsindustrie durch Piraterie in jedem britischen Haushalt Verluste von £ 1200.-- entstünden.
Ist es also wirklich so schlimm? Ist die Musik-Industrie also ein unschuldiges Opfer von bösen Piraten? Je genauer man die Zahlen und Argumente anschaut, desto zweifelhafter werden die IFPI-Behauptungen und Studien.
Das beginnt damit, dass die letztjährigen Verluste einzig auf die Piraterie zurückgeführt werden. Die Rezession hat damit scheinbar nichts zu tun. Tourismus, Unterhaltungselektronik und Autoverkäufe (wo es keine Konjunkturprogramme gab) erlitten 2009 alle dramatische Einbrüche. Wurde dieses klitzekleine Detail irgendwie eingerechnet? Nein. Aber ist es denn nicht so, dass Geld, dass man nicht hat, nicht ausgegeben werden kann? Auch nicht für CDs. Ebenso wird ignoriert, dass der Niedergang der CD-Verkäufe seit Jahren Hand in Hand mit dem Aufstieg der DVD ging.
Die Argumente der Tonträger-Produzenten wurden in File-Share-Kreisen denn auch wie üblich sofort wieder angegriffen und zu einem guten Teil als einseitig und tendenziös gebrandmarkt. Doch selbst wenn man nur die Argumente der IFPI hört, muss einem irgendwann die totale Unfähigkeit dieser Organisation auffallen, bei sich selbst irgendeinen Fehler zu erkennen.
Wie gigantisch die Unfähigkeit der Musik-Industrie ist, zeigt sich ja schon an den eigenen Zahlen. Immer wieder wird betont, dass der Zuwachs der legalen Downloads nicht ausreiche, den Verlust bei den CDs auszugleichen. Das stimmt wohl, aber hier zeigt sich, was passiert, wenn eine Industrie es verpennt, einen Markt zu erschliessen. In fünf Jahren (vorher gab es für die IFPI Schweiz legale Downloads noch nicht), hat sich der Umsatz fast verachtfacht, und stieg im letzten Jahr alleine um 50% an. Geht man von einem weiteren Anstieg von 25% - 33% legaler Downloads pro Jahr aus (und der Schnitt der vergangenen Jahre war höher), würde der sich der Umsatz in 5 Jahren verdrei- bis vervierfachen. Ein Niveau, auf dem die Industrie schon jetzt sein könnte, hätte sie Downloads nicht jahrelang bekämpft, sondern schon im Jahr 2000 als Chance begriffen und nicht viele Downloader verjagt, die sie jetzt mühsam zurück gewinnen muss.
Doch die Musik-Industrie ist nicht lernfähig. Ein Blick auf Google könnte ihr vielleicht als Inspiration dazu dienen, wie Gratis-Musik-Downloads auf entsprechend gestalteten Sites Jugendliche anlocken und gleichzeitig Umsätze generieren könnten.
Ebenso gäbe es einen Markt für teurere Downloads für anspruchsvolle Musik-Hörer. Die CD ist nämlich schon lange nicht mehr der beste digitale Tonträger. Genauso wie es HD für den Fernseher gibt, gibt es auch HD für die Ohren. Wegen eines Formatkrieges (der, notabene, von der Industrie angezettelt worden war) scheiterte ein solcher Vorstoss im Tonträger-Markt. Als Download hingegen bieten kleine Labels schon erfolgreich Musik in Studio-Qualität an. Doch von den grossen ist noch nichts zu hören. Die solventen Besitzer audiophiler Anlagen warten immer noch auf ein gutes Angebot der Plattenfirmen.
Die Grabenkampf-Mentalität der IFPI schadet allen: Der Musik-Industrie, den Konsumenten und auch den Musikern. Ob dereinst eine Kultur-Flatrate auf Breitband-Anschlüssen eine Lösung bringen kann? Man wird es sehen.
Solange die schwindenden Erträge dafür verschwendet werden, den Erben toter Superstars 200 Millionen Dollar für alten Schrott zu bezahlen, kann es mit der Not der Musik-Industrie aber eh nicht so weit her sein.