von Patrik Etschmayer / Quelle: news.ch / Montag, 17. Januar 2011 / 11:11 h
Das Schema läuft üblicherweise nach dem Muster ab, dass nach anfänglichen erfolgreichen Reformen der Clan auch profitieren soll und dies am einfachsten geht, indem der Sicherheitsapparat gehätschelt und jegliche Kontrollmechanismen für die Mächtigen ausgeschaltet werden. Für eine gewisse Zeit funktioniert ein solches Land womöglich sogar ganz ordentlich, doch früher oder später frisst sich die Fäulnis unweigerlich überall hindurch.
Der Tropfen, der das Fass für Ben Ali zum überlaufen brachte, kam von einigen seiner willkürlich handelnden und korrupten Polizisten. Diese hatten den Obst- und Gemüsestand von Mohamed Bouazizi, einem gelernten Informatiker, der im von Tunis vernachlässigten Süden Tunesiens keine Stelle finden konnte, beschlagnahmt, mit dem er probiert hatte, den Lebensunterhalt zu verdienen. Bei seinen erfolglosen Bemühungen, sein Auto und den Anhänger zurück zu bekommen, wurde er zudem noch auf einer Polizeiwache misshandelt.
Diese Willkürakte brachten ihn dazu, sich vor dem Gebäude des Gouverneurs seiner Provinz anzuzünden. Dies geschah am 17. Dezember. Am 4. Januar erlag Bouazizi seinen Verletzungen. Dieser Tod war der Funke, an dem sich die landesweiten Proteste entzündeten, welche schliesslich dazu führten, dass der Kleptokrat Ben Ali und sein Clan das Weite suchen mussten. Im Falle seiner Frau mit 1.5 Tonnen Gold im Gepäck!
Ob nun was besseres nach kommt, ist eine andere Frage, doch bevor diese beantwortet werden kann, scheint die Welle der Unzufriedenheit auf die Nachbarstaaten über zu schwappen. Denn diese leiden – genau wie Tunesien bis anhin - auch an Autokraten, Despoten.
Beliebt im Westen aber seit Tunesien unter Druck: Abdullah II. von Jordanien, Hosni Mubarak /


Kleptokraten und Tyrannen, die alle fleissig damit beschäftigt sind, Dynastien zu installieren, wenn diese nicht schon Tatsache sind.
Das Unbehagen Muammar al-Gaddafis über die Vorkommnisse bei seinem östlichen Nachbarn sind deshalb begreiflich, steht er doch selbst auch unter immer grösserem Druck seiner Bevölkerung, die auch unter einer schleppenden Wirtschaft und der Unterdrückung durch Gaddafis Regime leidet. Dass er Ben-Ali als besten aller möglichen Präsidenten Tunesiens bezeichnete, sagt wohl mehr über ihn selbst als über Ben-Ali aus.
In Algerien hingegen hat es bereits Unruhen gegeben, wobei dort vor allem die Preissteigerung bei Grundnahrungsmitteln Auslöser waren. Und auch hier, wie in ganz Nordafrika, ja auch im Arabischen Raum, dürfte das grosse Zittern herum gehen, die Furcht, dass Preisnachlässe und kleine Reformen nicht ausreichen könnten.
Europa und die USA stehen dabei vor einer unbequemen Situation. Nicht wenige dieser Despoten waren und sind hier gerne gesehen. Ein Hosni Mubarak, der Ägypten seit 29 Jahren – seit Anwar-El-Sadats Ermordung durch Islamisten - mit Notstandsrecht regiert (und dessen Sohn Gamal als potentieller Nachfolger gehandelt wird), ist im Westen ein gern gesehener Staatsgast, während er bei sich daheim völlig auf seine Armee zum Machterhalt angewiesen ist. Ähnliches gilt auch für den im Westen sehr beliebten König von Jordanien, der nun auch schon erste Proteste gewärtigen muss.
Es ist die Furcht vor einer islamistischen Revolution in diesen Ländern, welche die Akzeptanz der Despoten und Tyrannen uns als annehmbares Opfer erscheinen lässt... vor allem weil ja nicht wir ein Opfer erbringen müssen. Doch mitunter stürzt auch der skrupelloseste Diktator, verabschiedet sich auch – unter Zwang – der übelste Kleptokrat. Und wenn einer gestürzt wird, wird es auch für die anderen kritisch. Wie jetzt. Dass der Sturz Ben-Alis zudem aus dem Nichts zu kommen schien und nicht wie die Demontage Saddam Husseins von aussen herbei geführt wurde, macht dieses Ereignis noch überraschender.
So scheint sich für den Fall dieser Kleptokratendämmerung bei den Grossmächten niemand Gedanken gemacht zu haben, was nachher kommen, oder wie man positiven Einfluss auf eine Demokratisierung nehmen könnte. Plan A war, dass alles einfach weiter geht, wie gehabt. Einen Plan B hingegen scheint im Moment niemand zu haben.