Unglaubliche Szenen spielen sich während der grössten Massendemonstration Ägyptens ab. Lautstark fordern zwischen einer und zwei Millionen Menschen den Rücktritt von Präsident Husni Mubarak. Und nicht nur das. «Die Menschen wollen freie Wahlen, Demokratie, das Ende des Regimes», so einer der Demonstranten zu Al Jazeera. «Wir wollen nicht einfach eine neue Figur, die die Kontrolle übernimmt. Wir wollen faire Wahlen.»
Unterstützt werden die Demonstranten durch das ägyptische Militär. Nachdem der Armeesprecher gestern die Position des Militärs offengelegt hat, ist die Armee bemüht, die Proteste friedlich zu halten. So berichtet Al Jazeera, dass Soldaten einen Kleinbus mit Waffen kurz vor dem Tahrir-Platz abgefangen und die Insassen verhaftet hätten. Das Militär verteilt ausserdem Flugblätter mit dem Aufruf, friedlich und gewaltfrei zu bleiben und hat in einer Kundgebung die Demonstranten daran erinnert, dass ihre Taten von Millionen von Menschen von den Fernsehbildschirmen und dem Internet aus verfolgt werden.
Demonstranten immer noch führungslos
Die Demonstranten bleiben immer noch ohne Führer. Obwohl sich neben Mohamed El Baradei nun auch Amr Mussa gegenüber verschiedenen Fernsehstationen als Politiker angeboten. Mussa ist Generalsekretär der arabischen Liga und ein bekannter Politiker im arabischen Raum. Bei beiden stellt sich die Frage der Legitimation: El Baradei hat sich neuerdings von den Demonstrationen ferngehalten, während Mussa nie direkt daran beteiligt war. Aus Sicht des Volkes stellt sich nun die Frage, wie man den Weg zu demokratischen Wahlen beschreiten könnte. Bei einem Rücktritt von Mubarak wäre das Militär vorzeitig an der Macht. Ob sich eine Militärjunta bilden würde, das Militär mit Oppositionspolitikern eine Lösung suchen würde oder ob eine Partei versuchen würde, die Macht an sich zu greifen bleibt offen.
Die Oppositionspolitiker haben sich unterdessen heute Nachmittag zusammengeschlossen und besprachen die weitere Vorgehensweise. Sie werden sich erst zu Gesprächen mit dem Vize-Präsidenten Omar Suleiman bereit erklären, wenn Mubarak das Land verlassen hat. Sie fordern eine «Regierung der nationalen Allianz», die Auflösung der beiden Kammern sowie die Ausarbeitung einer neuen Verfassung durch eine Arbeitsgruppe. El Baradei nahm an diesen Gesprächen nicht teil.
Recep Tayyip Erdogan ruft Mubarak auf, dem Volkswillen zu folgen
Der türkische Ministerpräsident rief Mubarak dazu auf, auf sein Volk zu hören, denn niemand könne gegen den Willen seines Volkes an der Macht bleiben. Ausserdem erinnerte er die Ägypter daran, friedlich zu bleiben, und das wertvolle Kulturerbe nicht weiter zu zerstören. Bis jetzt wurden im ägyptischen Nationalmuseum zwei Mumien demoliert.
Nach Angaben auf der offiziellen Homepage, beschützen im Moment einige junge Ägypter die 'Bibliotheca Alexandrina', die als Erinnerung an die abgebrannte, von Legenden umwobene, Bibliothek von Alexandria 2002 eröffnet wurde.
Demonstranten haben hunderte von Anti-Mubarak-Schildern vor das Regierungsgebäude gelegt. /

Obama schickt einen Vermittler
CNN berichtete, dass die USA den früheren Botschafter Frank Wisner als Vermittler nach Ägypten geschickt haben. Ob das auf Zustimmung beim Volk stösst, ist fraglich. Durch die Unterstützung, die Amerika dem Regime über Jahre hinweg geliefert hat, fordern viele, dass sich der politisch enge Verbündete Ägyptens nicht einmischt. Auch dass die Tränengasflaschen der ägyptischen Polizei mit einem grossen «Made in the USA» versehen sind, wird die Sympathie nicht angeregt haben.
Massenmedien zu stoppen ist unmöglich
Unterdessen unternimmt die Regierung weitere Versuche, um den arabischen Fernsehsender Al Jazeera von der Berichterstattung abzuhalten. Ein weiterer Satellit sendet nun keine Bilder mehr und die Journalisten werden immernoch in den Hotels festgehalten. Nichtsdestotrotz bleibt Al Jazeera immer auf dem neuesten Stand - unter anderem dank Blogs, Twitter und YouTube.
Die Blockade des Senders wurde mit Unterstützung von weiteren Medienhäusern überwunden - im Moment senden mehrere arabische Fernsehsender das Signal von Al Jazeera.
Mehr als 4500 Ausländer sitzen am Flughafen Kairo fest
Immer mehr Ausländer und Ägypter verlassen angesichts der anhaltenden Proteste gegen Staatspräsident Husni Mubarak das Land. Am Flughafen in Kairo führte dies am Dienstag teils zu chaotischen Zuständen, wie Reisende berichteten.
Zwar trafen weitere Sondermaschinen ein, um Ausländer und Einheimische ausser Landes zu fliegen, doch mehr als 4500 Menschen warteten am Dienstagmittag verzweifelt darauf, das Land verlassen zu können. Selbst ein Flugticket garantierte nicht, dass Passagiere einen Platz im Flieger erhielten.
Abzug von Botschaftern, verschärfte Reisewarnungen
Unterdessen verschärften die USA, Deutschland sowie die Schweiz ihre Reisewarnungen. Alle Länder rieten Staatsangehörigen davon ab, nach Ägypten zu reisen, und empfohlen dort Anwesenden, zeitweise das Land zu verlassen. Al Jazeera nach, wird auch England am Mittwoch ein Flugzeug nach Ägypten senden, um übrige Engländer zurückzubefordern.
Die USA liessen ausserdem alle nicht «absolut notwendigen» Botschafter aus Ägypten abziehen.
Ausbreitung der Proteste nach Suez, Alexandria - und auch Algerien und Syrien
Auch in anderen grossen Städten haben sich tausende von Demonstranten versammelt. Laut Berichten von CNN in Alexandria und Suez sogar je über hunderttausend Demonstranten, die neben der Forderung nach Mubaraks Rücktritt auch ihre Solidarität zu den Protestierenden in Kairo ausdrücken wollen.
Motiviert von den Geschehnissen in Tunesien und Ägypten befinden sich weitere Staaten in Aufruhr. In Jordanien wird seit Tagen protestiert und genau so auch im Jemen. In Algerien haben die Gewerkschaften und die Opposition für die nächsten Tage ebenfalls Grossdemonstrationen angekündigt. Zuvor hatten sich in Algerien mehrere junge Männer aus Verzweiflung und Protest angezündet oder sich die Haut aufgeschlitzt.
Auch in Syrien rufen Oppositionsgruppen über das Internet zu grossen Demonstrationen auf. Der Präsident Baschar al-Assad hatte zuvor grosse Reformen versprochen - vermutlich aus Angst vor der Ausbreitung des Aufstandes.
In dieser Sekunde strömen immer noch weitere Menschen auf den Tahrir-Platz.