Patrik Etschmayer / Quelle: news.ch / Freitag, 28. Oktober 2011 / 13:00 h
Und eine immer grössere Anzahl dieser Menge strebt danach, einen Lebensstandard zu erreichen, wie wir ihn hier im Westen geniessen. Ja, sogar das Niveau der 1950er oder 1960er Jahre wäre für viele schon ein Wunschtraum. Doch bereits jetzt werden bereits mehr Rohstoffe und wird mehr Energie verbraucht, als die Erde auf Dauer zur Verfügung stellen kann.
Es ist eine extrem banale Erkenntnis, die einem auch immer wieder von Greenpeace, Umweltpolitikern und Umweltschützern verkündet wird. Ebenso wie die unterdessen 1000fach bewiesene, antropogene Klimaerwärmung, das massive Aussterben von Spezies mit einer Geschwindigkeit, wie sie sonst nur nach Mega-Vulkanausbrüchen und Meteoriteneinschlägen zu beobachten war und die Verschmutzung von Meeren und der Atmosphäre mit Abfällen und Abgasen.
Gegen diese Metaprobleme wäre die Schuldenkrise, die nun in die 12. Runde stolpert, eigentlich Peanuts. Doch sie verhindert einerseits, dass dies Probleme angegangen, ja überhaupt angeschaut werden und man darf sich andererseits sogar Fragen, ob die Schuldenkrise und die Ökokrise nicht sogar Facetten der gleichen, grundlegenden Probleme sind, jener der Strukturen, welche sich die Menschheit im Laufe der Geschichte auferlegt hat und die seit 150 Jahren fast keine Anpassung mehr erfahren haben.
Geht man in der Menschheitsgeschichte genug weit zurück, langen wir an dem Moment an, wo es nur wenige «moderne» Menschen gab, die in kleinen Gruppen lebten und sich durch Blutsverwandtschaft definierten: die Sippen- und Stammesgesellschaften. Erst als nach dem Durchbruch der Landwirtschaft und dem Niedergang der Jäger- und Sammlergesellschaft die Gruppen grösser wurden und - um zum Beispiel grosse Rodungen und Bewässerungsanlagen möglich zu machen - die Zusammenarbeit grösserer Gruppen immer wichtiger wurde und diese auch ernährt werden konnten, bildeten sich grössere Gesellschaften, deren Bindungen untereinander immer abstrakter wurden. Erst handelte es sich um durch die gemeinsamen Gottheiten definierte «Protonationen» oder «Megastämme» (wie zum Beispiel Israeliten und Ägypter) und danach schliesslich um politische Gebilde wie das Römische Reich, in dem fröhlich Götter der eroberten Integriert wurden, solange die staatliche Macht anerkannt war.
Hmm... wenigstens wissen wir, woran wir sind (Limbus in Gemälde von Bosch-Schüler) /


Auf diesem Modell bauen grundsätzlich auch noch unsere Nationalstaaten auf, nur dass diese meist wesentlich regionaler ausgerichtet sind, als das ihre grosse Inspiration war.
Während die politischen Macht- und Denkstrukturen also provinzieller blieben (was wissen Sie zum Beispiel von slowenischer oder gar südkoreanischer Innenpolitik? Eben... ), wurden die ökonomischen und ökologischen Verflechtungen immer globaler. Bereits vor hundert Jahren überholten die Verbindungen der Wirtschaft die politische Realität auf der linken Spur und im ersten Weltkrieg kam es soweit, dass Unternehmen zum Teil die Kriegsgegner mit Kriegsmaterial belieferten.
Unterdessen ist so ziemlich alles international geworden: Rohstoffbeschaffung, Kapitalströme, Umweltverschmutzung und ihre Folgen. Doch die Entscheidungsstrukturen sind immer noch grösstenteils National. Sogar in der EU, wo sich die verschieden Länder gegenseitig bekämpfen, belügen und betrügen - mithin die Ursache der europäischen Schuldenkrise.
Es wären nun neue Strukturen notwendig, Strukturen, die mit den Problemen, die vor Grenzen keinen Respekt haben, fertig werden können. Doch solche neuen Strukturen würden es erfordern, die alten zu zerstören und das ist in der bisherigen Menschheitsgeschichte nie ohne Mord und Totschlag abgegangen. Alleine die Beseitigung der Feudalgesellschaften in Europa brauchte zwei Weltkriege mit zusammen fast 80 Millionen Toten. Und in Russland regt das Zarentum in angepasster Form gerade wieder sein abgeschlagen geglaubtes Haupt.
Die Widerstände gegen eine Beseitigung der gegenwärtigen Gesellschaft mit seinen Nationalstaaten und den über diesen stehenden multinationalen Unternehmen wären gigantisch, die sich daraus ergebenden Konflikte riesig und mörderisch, die Herausforderungen jenseitig - genau wie die damit einhergehenden Risiken.
So dümpeln wir denn nun in einem globalen Limbus, wursteln weiter in den Bahnen, die wir kennen, 7 Milliarden Schicksale zwischen einer Gegenwart, die scheinbar nicht mehr richtig funktioniert und die eigenen Probleme anzuerkennen oder gar zu lösen vermag und einer Zukunft, von der wir wünschen, dass sie einfach noch nicht so schnell eintreffen möge.