Der US-Präsident hielt sich diese Woche zwar in Afrika auf, konnte der Verärgerung seines engen und wichtigen Verbündeten aber auch dort nicht entkommen. Obama wies jedoch sämtliche Vorwürfe zurück und bemühte sich, Spionage als ein normales Mittel darzustellen, das zwischen befreundeten Ländern durchaus üblich sei.
«Jeder Geheimdienst auf der Welt versucht, die Welt und das Geschehen rund um den Globus besser zu verstehen», sagte Obama in Tansania zu Reportern: «Sie möchten zusätzliche Informationen erhalten, die nicht durch allgemein zugängliche Quellen zur Verfügung stehen. Wenn das nicht der Fall wäre, gäbe es keine Verwendung für einen Geheimdienst.»
Der Ärger begann, als verschiedene Zeitungen über ein riesiges Spähprogramm des US-Geheimdienstes NSA berichteten. Im Zuge dessen angeblich Telefonverbindungsdaten in Amerika überwacht sowie weltweit Internetdatensätze gesammelt wurden.
Kurze Zeit später berichtete Der Spiegel von einer anderen Art der Bespitzelung. Das Magazin beruft sich dabei auf Dokumente des Computerexperten Edward Snowden, der momentan auf der Flucht ist. Angeblich haben die USA Wanzen in Büros der Europäischen Union in Washington und New York installiert und das interne Computernetzwerk infiltriert.
Zudem präsentierte das Magazin bestürzende Zahlen und Statistiken zum NSA-Überwachungsskandal: In Deutschland sammelt der Geheimdienst pro Monat angeblich etwa 500 Millionen (eine halbe Milliarde!) Telefonate, E-Mails sowie SMS oder Chatbeiträge.
Deutsche noch traumatisiert durch Spionage des Kalten Krieges
Weder amerikanische noch deutsche Behörden bestätigten bislang Einzelheiten des Berichts, obwohl es kein Geheimnis ist, dass Spionageaktivitäten und Intrigen zum Alltag internationaler Beziehungen gehören. Doch Deutschlands eigene Geschichte macht die Vorwürfe besonders problematisch. Als das Land jahrzehntelang geteilt war, baute die Regierung im Osten ein Spionagenetzwerk auf, das nahezu jede Gesellschaftsschicht durchdrang.
«Sind wir noch im Kalten Krieg, Obama?» (Archivbild) /


Viele Deutsche mussten eines Tages erfahren, dass selbst ihre engsten Vertrauten und Familienangehörigen als Spitzel für die Regierung arbeiteten.
Bundeskanzlerin Angela Merkel wuchs im Osten des Landes auf und sagte diese Woche in einem Zeitungsinterview, dass «das Abhören von Freunden mit Wanzen in unseren Botschaften und EU-Vertretungen nicht» gehe. Sie fügte hinzu: «Wir sind nicht mehr im Kalten Krieg.»
Spiegel-Artikel enthüllt den «wahren Obama»
Bevor Der Spiegel seine Behauptungen aufstellte, war Obama in Deutschland wesentlich beliebter als in seinem Heimatland. Als Präsidentschaftskandidat konnte er 2008 in Berlin eine riesige Menschenmenge begeistern: 200'000 Fans lauschten damals seiner Rede am Fuss der Siegessäule. Letzten Monat besuchte er die Hauptstadt erneut, doch diesmal hielt er seine Rede vor einem wesentlich kleineren, ausgesuchten Publikum. Eine Umfrage ergab allerdings, dass die Deutschen Obama als Weltenlenker weitaus mehr Vertrauen entgegenbringen als sein eigenes Volk.
Laut einer Umfrage des Pew Research Centers glauben 88 Prozent der Deutschen, dass Obama bei zwischenstaatlichen Angelegenheiten zu den richtigen Mitteln greift. Eine neue Umfrage von CNN kam zu dem Ergebnis, dass die Amerikaner in diesem Punkt nicht so zuversichtlich sind: Nur 44 Prozent seiner Landsleute, also genau Hälfte, schenken Obama dieses Vertrauen.
Der Präsident hat sich bislang nicht öffentlich für die gross angelegte, weltweite Abhöraktion entschuldigt. Sollte er das jemals tun, könnte er vielleicht ein paar Worte auf Deutsch sagen.
Über Jonathan Mann:
Jonathan Mann ist Moderator und Korrespondent bei CNN International. Er berichtet regelmässig aus der Zentrale des Nachrichtensenders in Atlanta und verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung im Print-, Radio- und TV-Journalismus. Seine Kolumne steht in der Schweiz exklusiv für news.ch zur Verfügung.