Regula Stämpfli / Quelle: news.ch / Mittwoch, 16. März 2016 / 10:49 h
Zuerst zur NZZ-Lobbyauswertung: Erstens sagt die Übersicht nichts über die finanziellen Verstrickungen, d.h. das Kapital der Lobbys aus. Als ob die Zahl, wer mit welchen Interessenverbänden verbandelt ist, irgendetwas über Gestaltungs- und Finanzmacht aussagen würde. Zweitens schwächt die NZZ den Eindruck der Wirtschaftsdominanz, indem sie die generelle Kapitalistenlobby in Versicherungen, Wirtschaftsdachverbände, Industrie&Energie und Bauwirtschaft&Immobilien teilt. Dafür sind alle linksgrünen Interessenverbände unter einem Dach zusammengefasst und ergeben den riesigen Balken «Hilfswerke, Nonprofit-Organisationen und Soziales.» Ein Schelm, wer sich Böses dabei denkt, zumal René Zeller sofort kommentiert: «Es sind nicht primär Banken und Wirtschaftsverbände, die mit ihren Tentakeln Gesetzesprozesse steuern.» Wenn eine frisch gewählte Nationalrätin innert wenigen Jahren ihre Verwaltungsratssitze verdreifachen kann, dann braucht es keine «Tentakel», da reicht das Sitzungshonorar, um entsprechende Gesetzgebungsprozesse zu fördern.
Die NZZ betreibt mit ihrer Lobby-Übersicht die in den Leitmedien beliebte Oberflächenkritik, die vor allem das Publikum beruhigen soll und die bestehenden Machtverhältnisse legitimierend und beschönigend «kritisiert.»
David Graeber beschreibt in seinem beunruhigenden Buch «Bürokratie» die Struktur, die dem Machtzuwachs der Interessenverbände zugrunde liegt. Er setzt sie bei der seit den 1980er Jahren unter Thatcher und Reagan begonnenen sogenannten «Deregulierung» an.
Deregulierung bringt aber erstaunlicherweise nicht weniger Bürokratie, sondern mehr Bürokratie. Sie bringt auch nicht mehr Transparenz oder Demokratie, sondern das Gegenteil hervor: Undemokratische Entscheidungsprozesse und den ungebremsten Einfluss der Interessengruppen. Lobbies sind der neoliberale Hofstaat der Demokratie (laStaempfli).
Im (Medien)Diskurs wird selbstverständlich das Gegenteil behauptet, selbst wenn man real fünfmal so viele Formulare ausfüllen muss und fünfmal so viele Behördenmitarbeiter eingestellt werden müssen, um neue Systeme zu beherrschen und schwierige Gesetzesentwürfe mit bürokratischen Vollzug durchzusetzen, wird von «Organisation, Evaluation, Prozess, Transparenz, Legitimation, Partizipation» geschwafelt.
Reiner Datenjournalismus à la NZZ wird den Preis der Macht nicht enthüllen. /


Leider reden davon die meisten Medien nicht. Sondern sie leaken «Geheimpapiere» und tun so, als wären sie kritisch. In Wahrheit wollen sie die ungemütliche Geschichte aber nur vom Tisch wischen. Denn wer am Beispiel des «Geheimpapiers von Hirzel Neef Schmid» der Struktur, die hinter den Lobbies steht, nachgeht, stösst sehr bald auf die Kumpanei der Journalisten.
Lobbywatch.ch und der Artikel von Dominik Feusi in der BAZ (!) machen es besser: Die Zersetzung der Freiheit zum Staat durch die Lobbys wird kritisch, strukturell und lösungsorientiert besprochen. Endlich wird klar, wie PR- und Consultingfirmen (nicht zuletzt besetzt von ehemaligen Journalisten) Parlamentarier wie Angestellte der eigenen Firma behandeln können (sagt auch was über die Parlamentarier, doch dazu später mal mehr). Domink Feusi schreibt in einem nüchtern-sachlichen Ton, wie der Stromkonzern Alpiq, Politiker beeinflussen, Staatshilfe erreichen und wieder schwarze Zahlen schreiben will. Feusis Bericht ist Recherche und Aufklärung zugleich und sagt viel mehr aus, wie Politik in der Schweiz gestaltet wird als irgendwelche neutral frisierte Mandatsübersichten, wer mit wem ins Bett steigt.
Lobbywatch.ch ist eine Site, die eigentlich ebenso häufig aufgerufen werden muss wie www.admin.ch. Letztes Jahr zeigte sie u.a. auf, wie die
IG Biomedizinische Forschung Innovation mit 17 National- und Ständeräten vertreten war und als Gruppe bei der «Kommission für Gesundheit und soziale Sicherheit» zu einer gewichtigen Stimme heranwuchs. Soviel zu behördlicher Gesundheit, die wohl nur dazu dienen soll, die Pharmaindustrie gesund zu halten?