von Patrik Etschmayer / Quelle: news.ch / Montag, 14. Juni 2010 / 11:03 h
Göldis Odyssee in der nordafrikanischen Operettendiktatur hatte schon beinahe sein zweites Jahr vollendet gehabt, zwei Jahre, in denen er von seiner Familie getrennt war und deren letzte vier Monate er sogar in einem libyschen Gefängnis verbringen musste.
In diesen zwei Jahren war er Spielball in einer politisch-diplomatischen Posse, die in Genf mit der Verhaftung von Hannibal Gaddafi ihren Ausgang genommen hatte und mit einer Genferin – der Bundesräten Micheline Calmy-Rey, mit der zusammen Göldi in die Schweiz zurückkehrte – ein für ihn glückliches Ende gefunden hat.
Welche Zugeständnisse genau gemacht wurden, ist noch nicht bekannt, aber scheinbar bewegen sich diese im Rahmen dessen, was schon vor langer Zeit, bevor Gaddafi völlig auszuckte, vereinbart worden war: Es wird ein internationales Schiedsgericht eingerichtet. Zudem wird die Tribune de Genève, oder jene, die dieser Zeitung die Polizeifotos des gewalttätigen Gaddafi-Sohnes zugespielt haben, vor Gericht gestellt.
Nichts Spektakuläres also. Bedenklich ist allerdings, dass dieser eigentlich längst vereinbarte Konsens erst zustande kam, nachdem Deutschland und Spanien mit Sukkurs vom guten «Gaddafi-Freund» Silvio Berlusconi auf den libyschen Diktator eingewirkt hatten. Die Schweiz allein hätte es vermutlich nicht geschafft, Göldi ohne weitere Verzögerungen raus zu kriegen.
Ja, man sei froh um die befreundeten Staaten gewesen, die bei den Verhandlungen mit halfen. Doch, wie schon Charles de Gaulle (oder war es Bismarck? Kundige Leser sind gefordert, den Schreiber aufzuklären!) sagte: Staaten haben keine Freunde, sie haben Interessen.
In dieser Hinsicht ist der Einsatz der genannten Länder durchaus Interessant. Diplomatische Bemühungen sind mit einigem personellem Aufwand und auch gewissen Risiken verbunden. Wäre die Schweiz nur ein «Freund» und was die Schweiz zu bieten hätte, nur «Freundschaft», Göldi sässe immer noch im Knast von Tripolis.
Doch scheinbar haben wir noch etwas zu bieten, oder die «Freunde» aus der EU haben noch Dinge, die sie gerne von uns haben wollen. Jedenfalls haben Deutschland, Spanien und Italien nun etwas zugut, wenn es demnächst mal wieder bilaterale Verhandlungen geben sollte... oder die Schweiz hat schon voraus etwas geliefert.
Ein solches Denken mag zynisch scheinen, doch speziell in der gegenwärtigen Zeit, wo Krise eher Normalität als Ausnahme ist, hat niemand etwas zu verschenken. Deutschland eben so wenig wie Spanien und Italien, die alle gerade extreme Sparpakete verabschiedet haben, um ihre Staatskassen wieder aus der Schieflage zu bringen. Es sollte niemanden wundern, wenn irgendwann aus dieser Richtung Forderungen betreffend Bankdaten daher kämen.
Als Kleinstaat ist das souveräne Überleben in der heutigen Welt offenbar noch schwieriger als je zuvor geworden, wobei vor Allem auch der erstaunlichste Akteur von allen in diesem Trauerspiel nicht vergessen werden darf: Bundesrat Hans Rudolf Merz, der schon im letzten August nach seiner ohne Rücksprache mit dem Rest-Bundesrat gemachten dilettantischen Reise nach Tripolis einen der Tiefpunkte der Affäre gesetzt hatte. Merz, der seither Residenz im Fettnäpfchen bezogen hat, ist, trotz seines damaligen Versprechens, zurück zu treten, wenn die Geiseln nicht schnell frei gelassen würden, immer noch im Amt.
Er ist augenscheinliches Symbol für das zweite, grosse Problem des Kleinstaates Schweiz: Gerade in einer Welt, die es kleinen Ländern schwer macht, sich zu behaupten, wäre eine starke Regierung von grösster Wichtigkeit. Merz ist augenscheinliches Symbol und immer noch Mitglied eines peinlich schwachen Regierungsteams.
Max Göldi ist frei. Freuen wir uns darüber. Doch das ist wohl der einzige Lichtblick an dieser Farce.