Patrik Etschmayer / Quelle: news.ch / Montag, 10. Oktober 2011 / 12:40 h
Die europäischen Banken kommen immer mehr ins Schlingern und eben musste ein erstes Institut, die Dexia, zerlegt, verteilt und ein Teil von ihr in einer «Bad Bank» entsorgt werden. Langsam aber sicher präsentiert sich hier etwas, dass man als «Perfect Storm» bezeichnen könnte, ein Ereignis, bei dem sich viele Faktoren zur maximalen Katastrophe zusammen finden.
Der erste Faktor ist die Politik. Politiker leben von öffentlichen, möglichst spektakulären, Erfolgen. Und diese lassen sich am ehesten mit Prestigeprojekten erzielen und in der EU war der Euro ein solches Projekt. Harmonie kommt immer gut, Realitätssinn macht keine Stimmen. Oder zumindest nicht genügend. So wurde denn Griechenland - obwohl die Experten dringend davon abrieten - mit in den Euro-Raum aufgenommen. Um dann behaupten zu können, alles habe seine Richtigkeit, wurden mit Hilfe von Banken (unter anderem Goldman Sachs) geschönte Zahlen präsentiert, Zahlen, die so viel wert sind, wie heute eine griechische Staatsanleihe.
Ebenso wurde in der Folge auf die im Euro-Vertrag vereinbarten Sanktionen gegen Defizit-Sünder verzichtet, so dass die Schulden ohne schnelle Konsequenzen immer weiter steigen konnten.
Doch die Politik allein hätte es nicht geschafft. Denn wie schon erwähnt, waren ja auch die Banken mit drin, weil sie halfen Schulden von Defizit-Sündern zu verstecken, indem sie diese mit gewagten Finanz-Konstrukten aus den Büchern (aber nicht aus der Welt) schafften, und so gleichzeitig dabei mitwirkten, die Schulden der Länder fleissig zu vergrösseren. Und um das notwendige Geld für den ganzen Wahnsinn zu beschaffen, haben die Grossbanken der Welt eine Parallel-Wirtschaft eingeführt, welche unterdessen (wenn der Umfang aller Derivate, Schuldverschreibungen, Swaps und was es zum Henker noch gibt, zusammen gezählt wird) die reelle Wirtschaftsleistung der Welt um das etwa 300-Fache übertrifft.
Diese wunderbare Geldvermehrung ist ein Teil des viel tiefer greifenden Problems, das mit dem Schlagwort der «Dienstleistungswirtschaft» in Verbindung gesetzt werden muss. Irgendwann - das muss schon in den 80-ern gewesen sein - setzte sich in den Köpfen vieler Menschen in der westlichen Welt der Gedanke fest, dass die «Dienstleistungswirtschaft» die Endstufe der Wirtschaft sein werde. Ja, selbst an der Handelsschule, in welcher der Autor damals sass, wurde diese Entwicklung als logisch und in sich schlüssig verkündet.
Sarkozy und Merkel: Bänkelsänger im perfekten Sturm. (Archivbild) /


Landwirtschaft und Industrie würden am Ende als Sektoren der Wirtschaft durch die Dienstleister abgelöst werden. Einzig die Frage, wer zum Henker die Dinge produzieren würde, die man in einer solchen Gesellschaft benötigt und wer in einer solchen Gesellschaft noch Werte schafft, blieb unbeantwortet.
Auf die erste Frage haben wir mittlerweile eine überzeugende Antwort bekommen: China. Doch die zweite ist immer noch nicht befriedigend aufgelöst worden, denn Werte werden immer noch vor allem in der Industrie geschaffen - ob dies nun die Maschinenindustrie, Chemie, oder Informatik ist: Dies sind die Orte, wo tatsächlich etwas entsteht. Dass es ausgerechnet diese Industrien sind, die von Politik und Finanz geschnitten und verachtet wurden, ist darum um so tragischer, aber auch logisch.
Viel attraktiver schien es da, Geld sich selbst vermehren zu lassen und dies ist es auch immer noch, wie in Amerika, wo die refinanzierten Banken statt billige Kredite an die Industrie zu geben, sofort wieder den Eigenhandel ankurbelten. Banken glaubten - mit dem Segen der Politik - sich von der Real-Wirtschaft abkoppeln zu können. Kredite zu geben war vor allem deshalb attraktiv, weil diese verkauft werden konnten, nicht weil die Kreditnehmer damit Werte schaffen und so die Schulden und Zinsen zurückzahlen könnten. Das gleiche galt denn auch für Staatsanleihen, die gekauft wurden, ohne einen zweiten Blick auf die Staaten zu werfen, welche sich über sie verschuldeten. Das Downrating von Griechenland und Italien, Spanien und Portugal zum jetzigen Zeitpunkt ist ein Witz: Es ist in etwa so, als würden schrottreife Autos erst dann zur technischen Überprüfung geschickt, wenn sie einen ersten schweren Unfall wegen technischem Versagen gehabt hätten.
Das Leben in der Blase ging bis 2008, gut doch die echten Lehren scheinen immer noch nicht daraus gezogen worden zu sein, nämlich jene, dass eine Wirtschaft nicht auf Fantasie und Einbildung existieren kann und dass Wertschöpfung nicht innerhalb von Banken und reinen Finanzmärkten stattfindet.
Doch in manchen Ländern scheint diese Erkenntnis - wenn sie denn überhaupt da ist - zu spät zu kommen: Die Real-Wirtschaft ist am Boden oder wird - wie in Irland - soeben durch die Rettungszahlungen an verschuldete Banken ruiniert, die sich verspekuliert hatten. Als ob das aber nicht reichen würde, leidet die Real-Wirtschaft an Orten, wo sie noch funktioniert - wie zum Beispiel in der Schweiz oder Deutschland - an Nachwuchsproblemen, weil sich niemand mehr die Hände bei der Arbeit schmutzig machen will. Wenn auch der normale Bürger nicht mehr daran glaubt, dass sich Arbeit lohnt, steht der Untergang normalerweise an der nächsten Ecke.
Für den perfekten Sturm braucht es immer viele Komponenten, doch die Konfliktscheue und Willfährigkeit der Politik, die Geldgier und Skrupellosigkeit der Banken und schliesslich die Gleichgültigkeit der Bevölkerung, der Stimmbürger machten diese Katastrophe, die nun schon ins vierte Jahr geht, erst möglich. Und was der Sturm noch alles mit sich mitreissen wird, lässt sich im Moment noch nicht einmal absehen. Ganz egal, welches Lied von den europäischen Bänkelsängern auch angestimmt wird.