Keine der vier Mannschaften aus der Gruppe A mag bei westlichen Fussball-Liebhabern das Herz höherschlagen lassen, aber für die Osteuropäer ist die Situation doch sehr speziell. So nahe waren sie ihren Lieblingen an einer Europameisterschaft noch nie. Die Polen sind ohnehin mittendrin. Die Tschechen treten in der Vorrunde dreimal in Wroclaw an, nur 90 km von ihrer Grenze entfernt. Und aus Russland kommen Hunderte Fans, die nach einem Wahlversprechen von Präsident Wladimir Putin gratis in Zügen und Flugzeugen anrücken.
Polen steht in der Weltrangliste der FIFA auf Platz 62, so weit hinten wie kein anderer EM-Teilnehmer. Im Eröffnungsspiel sieht sich das 38 Millionen Einwohner zählende Land dennoch als Favorit. Das Stadion ist mit 50'000 Zuschauern längst ausverkauft, wenn es für die Polen um «die Chance unseres Lebens» geht, wie Robert Lewandowski das Turnier in seiner Heimat bezeichnet. Der Stürmer von Borussia Dortmund, mit 22 Toren hinter dem Holländer Klaas-Jan Huntelaar und Mario Gomez drittbester Torschütze der abgelaufenen Bundesliga-Saison, ist neben Captain Jakub Blaszczykowksi und Lukasz Piszczek einer aus dem Trio des deutschen Meisters und der Hoffnungsträger schlechthin. Auch die drei Tore beim 5:2 im deutschen Cupfinal gegen Bayern München haben seine Landsleute beeindruckt.
Polen will erfolgreicher sein als die Schweiz
Auf jeden Fall wollen die Polen nicht dasselbe Schicksal erleiden wie vor vier Jahren die Schweiz und Österreich, die als Gastgeber in der Vorrunde ausschieden. Dies war zuvor einzig noch den Belgiern im Jahr 2000 widerfahren. Allerdings haben auch die Polen keine gute Erinnerung an das Turnier von 2008. Dort schossen sie in drei Spielen ein einziges Tor und schieden - bei ihrer ersten EM-Endrunden-Teilnahme überhaupt - als Gruppenletzter aus.
Im März des letzten Jahres erreichten die Polen im bisher letzten Länderspiel gegen ihren heutigen Gegner auswärts ein 0:0. Dies war allerdings nur eine Testpartie. Erstmals seit gut 25 Jahren, seit dem 1:0 der Griechen im April 1987 in der EM-Qualifikation in Athen, treffen die beiden Teams wieder in einem Wettbewerbsspiel aufeinander. An einer Endrunde, ob EM oder WM, begegneten sich die Equipen noch gar nie.
Griechenland als Spielverderber?
Griechenland würde nur zu gerne erneut den Partyschreck spielen. 2004 versauten die Griechen dem damaligen Organisator Portugal das Fest. In der Vorrunde schlugen sie den Gastgeber 2:1, und im Final taten sie dies gleich nochmals. Acht Jahre nach der Sensation von Lissabon gehen die Griechen erstmals ohne «König Otto» in ein Endrundenturnier.
Der Portugiese Fernando Santos übernahm Rehhagels Truppe, deren Qualitäten die gleichen sind wie ehedem. Die Abwehr mit dem Innenverteidiger-Duo Papadopoulos & Papastathopoulos ist nur schwer zu überwinden. In der Qualifikation liessen die Griechen in zehn Spielen ganze fünf Tore zu. Seit Santos Amtsantritt im Sommer 2010 verlor die Mannschaft nur ein einziges Mal: ein Testspiel gegen Rumänien. Nach vorne läuft allerdings auch unter Santos wenig.
Für Co-Gastgeber Polen geht es um die Chance ihres Lebens. /


Kein anderer EM-Teilnehmer traf in der Qualifikation so selten ins Netz wie die Griechen (14 Tore).
Advocaat: «Wir müssen realistisch bleiben»
Russland gegen Tschechien ist eine Affiche, die im Eishockey zum Standard-Programm gehört. Im Fussball ist das anders. Das einzige Duell seit der Auflösung der ehemaligen Tschechoslowakei fand vor 16 Jahren statt, an der EM-Endrunde 1996 in England. Damals trennten sich die Teams in der Vorrunde in Liverpool 3:3. Die Russen schieden dadurch aus, die Tschechen aber marschierten bis in den Final. Die Vorzeichen für die heutige Partie in Wroclaw sehen jedoch Russland in der Favoritenrolle. Seit dem 9. Februar 2011 ist die Mannschaft unter dem holländischen Trainer Dick Advocaat unbesiegt, die EM-Hauptprobe am vergangenen Freitag gegen Italien in Zürich endete mit einem glatten 3:0.
Advocaat schwächt aber ab: «Wir sollten realistisch bleiben. Auch wenn es eine Tracht Prügel für Italien gab. Das macht uns nicht zum ersten Anwärter auf den Titel.» Russlands Auftritte kommen ohnehin einer Wundertüte gleich. An der EM-Endrunde 2008 schalteten die Russen in den Viertelfinals in einem hochstehenden Match Holland aus, ehe sie im Halbfinal am späteren Europameister Spanien scheiterten (0:3). Doch dem Höhenflug folgte flugs das Ausscheiden in der Qualifikation zur WM-Endrunde 2010. Einzig offene Personalie ist nach seinem Kreuzbandriss Goalie Igor Akinfejew, bei dem sich im operierten Knie Flüssigkeit gesammelt hat.
Als eigenständige Republik hat sich Tschechien ausnahmslos für die EM-Endrunde qualifizieren und dort - als Zweiter 1996 und als Halbfinalist 2004 - zweimal überraschen können. Nun treffen die Tschechen in Wroclaw gleich im Startspiel auf den «vermutlich härtesten Gruppen-Gegner». Zumindest ist dies die Einschätzung von Nationaltrainer Michal Bilek. Viel wird davon abhängen, wie sich die Schlüsselspieler schlagen werden. Dies ist einerseits Petr Cech, Chelseas Keeper mit dem Rugby-Helm als Markenzeichen. Dann aber auch Mittelfeld-Rackerer Tomas Rosicky, der sich zuletzt mit Wadenproblemen herumschlug, seit Montag aber wieder mit der Mannschaft trainiert. Und im Sturm macht man sich Sorgen um Routinier Milan Baros, den zuletzt eine Verletzung am Oberschenkel plagte.
Polen - Griechenland
Freitag, 18.00 Uhr. - Nationalstadion, Warschau. - SR Velasco Carballo (Sp).
Voraussichtliche Formationen:
Polen: 1 Szczesny; 20 Piszczek, 13 Wasilewski, 15 Perquis, 2 Boenisch; 16 Blaszczykowski, 7 Polanski, 11 Murawski, 8 Rybus; 10 Obraniak; 9 Lewandowski.
Griechenland: 1 Chalkias; 15 Torosidis, 8 Avraam Papadopoulos, 19 Papastathopoulos, 20 Holebas; 2 Maniatis, 21 Katsouranis, 10 Karagounis; 18 Ninis, 17 Gekas, 7 Samaras.
Russland - Tschechien
Freitag, 20.45 Uhr (live auf fussball.ch). - Stadion Miejski, Wroclaw. - SR Webb (Eng).
Voraussichtliche Formationen:
Russland: 16 Malafejew (1 Akinfejew); 2 Anjukow, 12 Beresuzki, 4 Ignaschewitsch, 5 Schirkow; 8 Syrjanow, 6 Schirokow, 7 Denissow; 17 Dsagojew, 10 Arschawin; 11 Kerschakow.
Tschechien: 1 Cech; 2 Gebre Selassie, 6 Sivok, 8 Limbersky, 3 Kadlec; 13 Plasil, 19 Jiracek; 9 Rezek, 10 Rosicky, 14 Pilar; 15 Baros.