Regula Stämpfli / Quelle: news.ch / Mittwoch, 13. November 2013 / 10:43 h
Skandal verweist auf ein episodisches Ereignis. Einen Skandal kann man nicht abwählen. Ein Skandal wird medial immer wie ein Unglück inszeniert. Es gibt Bilder, Experten, einige Berichte darüber, was man eigentlich tun sollte, aber nie kann, da die Machtverhältnisse so und die Menschen nicht anders seien. Es werden Zahlen präsentiert, Experten zum Mikrofon gebeten und mit fast hundertprozentiger Sicherheit nie Lösungen präsentiert, wie man denn das nächste Mal den «Skandal» verhindern könnte.
Dem Skandal haftet eine Eigenlogik an. Skandale kann man nie verhindern, sondern nur aufdecken. Das ist der grosse Skandal an der Geschichte. Denn der «NSA-Skandal» ist keine Episode, sondern eine Kriegserklärung an alle in der Demokratie festgelegten Regeln und an uns Bürger und Bürgerinnen. Würde jeder politische Skandal, jede Sensation, jeder Korruptionsfall, jedes Umweltunglück als das wahrgenommen, was die Ereignisse in Tat und Wahrheit sind, nämlich das direkte Ergebnis der handelnden Politiker und Politikerinnen, dann würden Wahlen in ganz Europa und vielleicht sogar in den USA anders aussehen.
Je länger je mehr wir uns vom NSA-Skandal zu Umweltkatastrophen hin und bedeutungsleeren EU-Gipfeln her bewegen, desto ohnmächtiger werden wir. Es ist echt so, als lebten wir alle gefangen in einem Haushalt mit Borderline-Patienten und Drogenabhängigen, die uns immer wieder in eine völlig destruktive Mitabhängigkeit einbinden. Die Skandalisierung ist der grösste Feind der Demokratie.
Max Weber meinte einmal, dass Macht sich nie zu legitimieren brauche. Weshalb auch? Angeln wir uns von Skandal zu Skandal, bewahren wir den Schein des Aussergewöhnlichen in einem funktionierenden System, ohne zu merken dass das System schon längst korrupt, missbraucht und ausgehöhlt ist.
NSA-Zentrale: System und nicht einfach «Skandal». /


Hier ein Skandal, dort die Affäre. Das Wort ist ein Diminutiv eines politischen Vorganges, der eigentliches Unrecht, Missachtung des Rechtsstaates und die Verletzung der Freiheit der einzelnen Bürgerin und des Bürgers darstellt. Reden wir vom NSA-Skandal, dann wird uns gar nicht bewusst, dass wir es hier nicht mit einem losgelösten politischen Ereignis, sondern mit einem veritablem Umsturz der bürgerlichen Rechtsform und den Grundlagen unserer Verfassung zu tun haben. Dann ist es auch bequem, unmündig zu sein, denn wir können ja nichts ändern: Ein Skandal ist ein Schicksalsschlag und hängt mit nichts zusammen. Geniale Entpolitisierungsstrategie.
Skandale halten uns Bürgerinnen und Bürger im Schach. Der öffentliche Diskurs angelt sich von einer Episode zur anderen und verliert den demokratischen Narrativ völlig ausser Augen. Wer nicht erzählen kann, wird nie eine Geschichte zustande bringen. Und ganz sicher kein Happy End.
Ohne Sprache keine Demokratie - nur die Gewalt ist stumm. Das Böse gedeiht dort, wo sich Regierende nicht vor Verfassung, Wahlvolk und internationalen Vereinbarungen legitimieren müssen.
Beim Nachdenken über die Schwierigkeit, kritisches Erkennen mit entsprechender Organisationsmacht und Handeln zu verbinden, wurde mir bewusst, dass es genau diese Art atomisierter Skandal-Happen ist, die uns seit Jahren bezüglich politischer Gestaltung lähmt.
Deshalb gilt ab sofort: Es gibt keinen NSA-«Skandal», sondern Sie und ich leben in einem Unterdrückungssystem, welches sich verfassungswidrig der technischen Möglichkeiten bedient, um Ihnen und mir unsere bürgerlichen Freiheiten und Rechtssicherheiten zu nehmen. Vielleicht wäre es an der Zeit, dagegen mit allen Mitteln der Demokratie Widerstand zu leisten. Und sei es zuerst nur damit, dass man die Dinge beim Namen nennt.