Patrik Etschmayer / Quelle: news.ch / Dienstag, 26. August 2014 / 12:24 h
Es war eigentlich gar nicht nötig, aber irgendwie doch nett, dass sich viele Vertreter der islamischen Vereinigungen in Europa von den IS-Dschihadisten und ihren Gräueltaten distanzierten. Nein nicht einmal der Autor unterstellt den meisten dieser Organisationen eine Affinität zu Massenmord, Vertreibung von Minderheiten und Massenvergewaltigungen. Doch zusammen mit der Distanzierung kam noch eine weitere Aussage, die auch von den Kommentatoren dieser Dementis häufig wie ein Echo wiederholt wurde: Der IS habe nichts mit Religion zu tun.
Diese Behauptung ist nun doch etwas verblüffend. Der IS hat nun ja Religion im Namen (Islamischer Staat), auf den Fahnen, die sie überall, wo sie siegen, auf den Leichenbergen pflanzen (das islamische Glaubensbekenntnis) und in ziemlich jeder Aussage ihrer Anführer. Von dem her darf durchaus die Frage gestellt werden, ob es sich hier um einen echten Widerspruch, oder nur eine kognitive Dissonanz, an der der Schreiber leidet, handelt.
Der Kern der «Das hat nix mit Religion zu tun»-Argumentation lautet in etwa so, dass jene, welche diese Religion wirklich verstünden, niemals solche Gräueltaten anrichten würden. Doch Religionen haben alle einen entscheidenden Nachteil: Aus ihren Schriften lässt sich so ziemlich alles heraus lesen, wobei ihre Herkunft aus archaischen Zeiten zudem jene Deutungen, die eher urtümlichen Werten entsprechen, wesentlicher einfacher machen, als jene, die sich mit den Realitäten der Gegenwart arrangieren.
Es ist daher nicht weit her geholt, wenn man behauptet, dass die Horrortaten der IS-Irren dem ursprünglichen Geist, der Basis ihres Glaubens (und auch jener der anderen abrahamitischen Religionen) wesentlich näher sind als die liberal-toleranten Haltungen, die heutzutage so gerne wie eine Monstranz vorangetragen werden, wenn es um die öffentliche Selbstdarstellung der hiesigen Religionsgemeinschaften geht.
Auch ein Blick in die Geschichte zeigt: Friede war nur dann das Ziel, wenn es darum ging, den gewünschten Zustand zu beschreiben, nachdem der Feind unterworfen war. Der grösste aller Christlichen Herrscher, Karl der Grosse, war ein Massenmörder vor seinem Herrn und dies mit jedem erdenklichen Segen der Kirche. Das alte Testament steckt voller Geschichten von Genoziden und Massenvergewaltigungen an den Feinden des «auserwählten» Volkes. Und selbst wenn die meisten dieser Horrorgeschichten vor allem aus den Wunschträumen der Autoren von diesen entsprungen sein sollten (mit der historischen Akkuratesse ist es da nicht eben weit her), so deuten diese doch auf den Geist der Schriften hin.
Doch sobald in Debatten die Sprache auf diese unkuschligen Aspekte der Religionen kommt, heisst es, wie jetzt auch wieder, dass solches «NICHTS» mit Religion zu tun hätten. Die Religionsvertreter kommen einem vor wie Industrielle, die behaupten, dass die vergifteten Abwässer aus den Ablaufrohren und die Abgase aus den Schloten nichts mit den schönen Produkten aus ihren Fabriken zu tun haben.
IS-Terrorist: Nein, der hat nix mit Religion zu tun! /


Da wollen die europäischen Kirchen auf einmal nichts mit Kolonialen Gräueln und der nazistischen Judenverfolgung zu tun haben. Und die muslimischen Gemeinschaften nichts mit der IS.
Schön wärs. Religionen und totalitäre Ideologien (die meist aus Religions-Versatzstücken zusammen gebastelt werden) haben einige Gemeinsamkeiten. Die Wichtigste ist dabei wohl jene, die besagt, dass die Anhänger der Religion/Ideologie «auserwählt» seien, jene die sich nicht dieser Idee unterwerfen wollen oder können, oder diese gar bekämpfen, Feinde des Guten und vielfach nicht des Lebens würdig sind.
Die Attraktivität dieser schwarz-weissen Weltsicht ist offensichtlich: Einfachere Gemüter und Verlierer der Gesellschaft sehen eine Gelegenheit, sich über ihre «Feinde» zu stellen und sich an diesen zu rächen - auch wenn diese ihnen niemals auch nur ein Haar gekrümmt, oder irgendetwas angetan haben. Dabei haben Religionen gegenüber den totalitären Systemen noch den Vorteil, dass dem Fussvolk ewiges Leben im Paradies versprochen werden kann, so dass sich die Blöderen und Verbohrteren gerne in Selbstmordkommandos verheizen lassen.
Die Intelligenteren und Ambitionierteren hingegen sehen einen Weg zu fast absoluter Macht in einem streng hierarchischen Gewaltregime. Geld, Privilegien, Sex von verschleppten Frauen, willkürliches Morden von Gefangenen und den damit einher gehenden Allmachtsfantasien sind die Belohnung und dies alles mit dem Gefühl, dies im Einklang mit dem Willen eines Gottes oder absoluten Führers zu machen. Wobei ein Gott natürlich immer besser ist, denn diesen kann - im Gegensatz zu einem Diktator - niemand beseitigen, der stirbt nicht und er mischt sich mit Sicherheit nicht ins blutige Tagesgeschäft ein.
Denn es ist ja die Elite, die bestimmt, was von den «göttlichen», sich vielfach selbst widersprechenden Schriften gilt, und wie sie interpretiert werden müssen. So unterscheidet sich eine kriegerische Variante einer Religion von einer friedlichen vor allem durch die vom situativen Opportunismus gesteuerte Auswahl der wichtigen Kernpunkte der Religion, die zur Verwendung kommt.
Die Aussage, Religion habe nichts mit dem Schrecken der IS zu tun, ist daher rund heraus abzulehnen. Natürlich: Sie hat vielleicht nichts mit der INTERPRETATION der Religion, wie sie von anderen Gläubigen praktiziert wird, zu tun, doch mit Religion an sich hingegen schon. Religionen bieten einen Rahmen für diese Grausamkeiten, eine Rechtfertigung und sogar eine spirituelle Belohnung für diese: Es liegt nur an der Interpretation.
Es wäre daher erfrischend und heilsam, von den Vertretern der Religionsgemeinschaften zu hören, dass auch durchaus das Böse, das Grausige, das Niedrige und Verachtenswerte in den eigenen Religionen und ihren eigenen Schriften jede Menge Nahrung finden kann.
Wir warten.