Patrik Etschmayer / Quelle: news.ch / Dienstag, 16. Dezember 2014 / 16:00 h
Wut findet vor der Eskalation statt. Vor dem Ausbruch. Wut ist ein Ausdruck von Hilflosigkeit und Frustration. Das Gefühl, beschissen worden zu sein, spielt da sicher auch mit, bei den ganzen Wutbürgern, den Frustrierten, denen, die sich verraten fühlen, betrogen um die eigene Zukunft oder /und die ihrer Kinder.
Doch wie immer ist die echte Bedrohung nicht wirklich zu fassen, jene die uns arm machen sitzen weit weg, hinter kugelsicheren Scheiben von streng bewachten Luxusanwesen oder in Business-Jets. Oder die sind gar noch weniger fassbar, Organisationen und Multis, deren Lobbyisten und gekaufte Politiker sich im Schatten ihrer vertraulichen Sitzungsprotokolle verschanzen, die besser nie das Licht der Öffentlichkeit sehen sollten.
So werden von denen, die sich als Opfer sehen - und zu einem gewissen Teil auch selbst Opfer sind - jene bekämpft, die selbst noch viel mehr unter den Verwerfungen der heutigen Zeit leiden. Sie sind aus Kriegsgebieten geflüchtet, vor irren Islamisten und blutrünstigen Stammeskriegern, vor dem Kollaps ihrer Gesellschaften, ihrer Heimaten und sind nun auf einmal die Schuldigen an unserem Unbehagen, an unserer Angst vor dem Verlust unserer Identität, die wir so befürchten.
Da wird in Deutschland, dem Ort, in dessen Hinterland vor siebzig Jahren noch die Schlote der Konzentrationslager Rauch und Asche der vergasten und verbrannten Juden Europas ausspuckten, das christlich-jüdische Abendland beschworen und in Städten mit weniger als einem Prozent Ausländer die Panik vor der Überfremdung als grösste Gefahr der Gegenwart an die Wand gemalt.
Die Demonstranten weigern sich dabei, mit Journalisten der deutschen «gleich geschalteten» Medien zu sprechen und stiessen eine ARD-Reporterin rüde weg. Als jedoch ein sehr plump als «Russia Today» Journalist verkleideter Mann der satirischen deutschen «heute show» den Demonstranten das Mikro hinhielt, wurden diese auf einmal gesprächig, beklagten sich über die deutschen Einheitsmedien und waren des Lobes voll darüber, wie die nachweislich staatlich gelenkten (vermeintlichen) Russen für Meinungsfreiheit und Offenheit stünden. Es war ein Trauerspiel, über das man sich vor Lachen krümmen wollte.
Vielleicht ist es den offensichtlichen Putin-Fans, die da gegen die Islamisierung Europas protestierten, entgangen, wo ihr Held des Christentums und der Freiheit (oder was auch immer), vor gerade mal zwei Wochen war: In der Türkei, genauer in Ankara - noch genauer: bei einem neuen Liebling von ihm, Recep Tayyip Erdogan, Förderer des Islamismus, während langer Zeit Unterstützer des jenseits seiner Grenzen operierenden - Verzeihung, da ist ein Euphemismus rein gerutscht - mordenden IS und astreiner Antidemokrat, der die mögliche Assimilation von im Ausland lebenden Türken als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnete. Und wie die Razzien gegen und Verhaftungen von türkischen Journalisten beweisen, war der Besuch des lupenreinen Demokraten Putin am Bosporus offenbar eine wahre Inspiration für Erdogan, was den Umgang mit einer «freien Presse» angeht.
So hegen also viele der Demonstranten offensichtliche Sympathie für ein Regime, das eben so offensichtlich mit einem Regime kooperieren will, gegen das sie grosse Antipathie empfinden. Schon dieses Muster demonstriert die sehr kurz fassende (Un-)Logik dieser «Wutbürger».
Wut und Angst trifft auf schwammiges Lavieren: «PEGIDA»-Protest in Dresden (15. 12. 2014) /


Die Hoffnung, die Welt, von der man selbst in Form von billigen Rohstoffen, Energie und ausgelagerter Billigarbeit und Umweltverschmutzung profitiert, mit genügend Lautstärke draussen halten zu können, ist illusorisch. Zu komplex sind die Verknüpfungen. Nur um den Islamismus in den Zusammenhang zu rücken: Dieser kam erst durch die Unterstützung der Taliban in Afghanistan vor bald 40 Jahren durch die USA im Kampf gegen Russland erst so richtig in die Gänge und wird heute von einem Despoten gefördert, der ausgerechnet von den Russen hofiert wird.
Dass diese Bewegungen die deutsche (und die Schweizer) Politik in die Bredouille bringen, liegt denn auch nicht an der Stärke der Argumente, sondern an der Schwäche der Politiker, die seit Jahren aufgehört haben, für mehr als die Interessen der Lobbys zu kämpfen, und dabei die Zukunft ihrer Wähler verhökerten. Probleme zuzugeben und mit einem konsequenten Eintreten für die demokratischen Werte anzugehen, wäre in der Zeit des immerwährenden Wahlkampfes aber schädlich, man könnte ja irgendwem auf die Zehen treten. Ehrlich zu sein ist ohnehin undenkbar. Und den Lobbyisten einen Riegel vorzuschieben - um Himmels Willen, was für eine absurde Idee. Also wird weiter abgewedelt, beschwichtigt und weg geschaut.
So treffen Wut und Angst auf schwammiges Lavieren und Ausweichen vor unangenehmen Realitäten. Eine explosive Mischung. Fragt sich, ob entschlossenes Handeln mit einem langfristigen Ausblick die Situation noch entschärfen kann. Doch halt, die Frage kann man sich wohl sparen, angesichts der Politiker, die momentan an den Hebeln der Macht sitzen. Na dann, frohes Explodieren.