Das blutige Massaker in den Redaktionsräumen der französischen Satirezeitung ist weit mehr als ein Angriff auf Satiriker und Karikaturisten, es ist ein Angriff auf einen der zentralen Werte unserer modernen, westlichen Gesellschaft: die Meinungs- und Pressefreiheit. Allzu schnell kann vergessen gehen, wie langwierig und opferreich der Kampf für diese Freiheit auch in unseren Breiten noch bis ins 18. und 19. Jahrhundert (teils weit ins totalitäre 20. Jahrhundert) gewesen ist - und wie schnell sie durch leichtfertige Zugeständnisse und Selbstzensur wieder verloren gehen kann.
Wir alle sind «Charlie»
Nach diesem traurigen Tag, an dem ich als Chefredaktor des «Nebelspalter» ein Interview nach dem andern zu meiner persönlichen Reaktion auf das Attentat und zu den Auswirkungen auf unsere künftige Arbeit gegeben habe, mag leicht der Eindruck entstehen, dass die Verteidigung dieser Freiheit nun Sache der Satirezeitschriften sei. Das wäre kreuzfalsch.
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Klar, den Satirezeitschriften fällt in der Pressegeschichte als Wegbereiterin hin zur Meinungsfreiheit eine zentrale Rolle zu. Doch letztlich steht eine Freiheit zur Debatte, die uns alle, jeden einzelnen von uns, etwas angeht. Denn sie ist nicht natur- oder gottgegeben, sondern muss letztlich von Generation zu Generation immer wieder aufs Neue diskutiert, bestätigt, notfalls erstritten werden.
Wenn sich unsere heutige Zeit also die Frage stellt - oder viel mehr unter dem Eindruck von Terroranschlägen aufzwingen lässt -, ob die Meinungs- und Pressefreiheit unverhandelbar bleiben soll oder mit Rücksicht auf andere Weltbilder und im Interesse unserer Sicherheit Einschränkungen und Selbstzensur erfahren soll, dann ist es nicht allein an den Satirikern, dies zu entscheiden, sondern Sache der gesamten Öffentlichkeit, allen voran die Aufgabe unserer Leitmedien und Qualitätszeitungen.
Unsere Haltung zu Mohammed-Karikaturen
Ich habe bereits im September 2012, als «Charlie Hebdo» erstmals mit Karikaturen des Propheten weltweit in die Schlagzeilen kam, in einem Artikel für die «Schweiz am Sonntag» dargelegt, warum der «Nebelspalter» auf den Abdruck von Mohammed-Karikaturen verzichtet hat (
der Text kann auch hier nachgelesen werden). Dabei handelt es sich nicht um einen Verzicht aus Opportunismus, sondern um einen Verzicht aus der tiefen Überzeugung, dass eine Debatte an einen Punkt gelangen kann, an dem Satire einer Sache nicht zuträglich ist, weil ihre inhärente Ironie, Doppelbödigkeit und Überzeichnung einen notwendigen Diskurs kaum vorwärtsbringt. Denn nun ist Klartext gefragt.
Klare Antwort
Die Antwort, die Europa jetzt auf den Angriff gegen die Pressefreiheit zu geben hat, muss klar, überzeugt und einstimmig sein. Ironie und Doppelbödigkeit satirischer Beiträge sind hierbei vorübergehend vielleicht sogar fehl am Platz. Es sind die sogenannten seriösen Leitmedien und Opinion Leaders, die es der Satire schuldig sind, nun die richtige Antwort zu geben.
Marco Ratschiller, Chefredaktor