Fachhochschule Nordwestschweiz / Quelle: news.ch / Sonntag, 9. Mai 2010 / 22:43 h
Als Hauptzielgruppe
der IntV gelten laut dem Bundesamt für Migration (BFM) Personen aus Drittstaaten im Familiennachzug
sowie schon länger in der Schweiz lebende Personen, die Integrationsdefizite aufweisen
(Schulden, Sozialhilfebezug, Straffälligkeit). Eine dritte Gruppe sind die Personen, die eine Betreuungs-
oder Lehrtätigkeit in den Bereichen Religion oder heimatliche Sprache/Kultur ausüben. Das
BFM empfiehlt nicht, mit allen Migrantinnen und Migranten IntV abzuschliessen, da das zu einem
unverhältnismässig hohen Aufwand führen würde, und es hält eine IntV auch nicht in jedem Fall für
angebracht, sondern findet eine sorgfältige Einzelfallprüfung nötig.
Schlussbericht 29.März 2010
Angesichts der skizzierten Ausgangslage haben das BFM und die fünf Kantone Aargau, Basel-
Landschaft, Basel-Stadt, Solothurn und Zürich ein Pilotprojekt beschlossen, um die Einführung der
IntV in ihren jeweiligen Kantonen zu begleiten und erste Erfahrungen damit auszutauschen. Die
Kantone haben dabei bewusst ein breites Spektrum an Zielgruppen definiert und unterschiedliche
Verfahren entwickelt, um über ein möglichst grosses Anwendungsfeld hinweg Erfahrungen sammeln
und Ergebnisse evaluieren zu können. Neben der eigenen, kantonsintern durchgeführten Datenerfassung
und Datenauswertung hat die interkantonale Projektgruppe unter Leitung von Angela
Bryner dem Institut Sozialplanung und Stadtentwicklung der Hochschule für Soziale Arbeit, FHNW,
den Auftrag erteilt, die konkrete Umsetzung der IntV in den fünf Kantonen und die dadurch erzeugten
Wirkungen zu evaluieren. Zudem sollten Empfehlungen zu Fragen der Eignung und Übertragbarkeit
der IntV Teil der Evaluationsstudie bilden. Die Projektdauer der Studie betrug ein Jahr, von
April 2009 bis Ende März 2010. Die diversen Fragen wurden in einem multimethodischen (quantitativ
und qualitativ) und multiperspektivischen Forschungsdesign untersucht.
Neben der statistischen
Analyse von 240 IntV wurden die strategisch und operativ Verantwortlichen in den verschiedenen
Kantonen befragt: es fanden Interviews mit zuweisenden Stellen und Kooperationspartnern sowie
mit direkt Betroffenen statt. Schliesslich wurden im Rahmen einer teilnehmenden Beobachtung
Aspekte der Interaktion und Kommunikation untersucht.
Die in der Studie festgestellte Variation hinsichtlich Zielgruppen, Zielen und Massnahmen sowie
Ausgestaltung des Verfahrens und der IntV-Gesprächssettings ist sehr gross. Die vielfältigen aus
dem empirischen Material gewonnenen Merkmale und Facetten lassen sich jedoch zu drei idealtypischen
Settings bündeln, die je spezifische Wirkungen entfalten.
Typ 1
Typ 1 bezeichnen wir als „Fordern-Setting“. Es kommt vor allem bei sozial mehrfach Belasteten, die
schon länger in der Schweiz leben, zur Anwendung. Es ist durch einen administrativ ausgerichteten
Verfahrensvollzug gekennzeichnet, der sich stark an den bestehenden Defiziten orientiert und eine
Auflagenerfüllung (Massnahmen) ohne professionelle Begleitung vorsieht. Die Kommunikation ist
von einer direktiven und eher einschüchternden Haltung bestimmt. Die IntV wird als „letzte Chance“
angeboten.
Das Institut Sozialplanung und Stadtentwicklung der Hochschule für Soziale Arbeit, FHNW, hat die konkrete Umsetzung der IntV in den fünf Kantonen und die dadurch erzeugten Wirkungen evaluiert. (Symbolbild) /


Das Vorgehen setzt die Betroffenen unter grossen Druck und erzeugt bei ihnen z.T.
Hilflosigkeit und Frustration angesichts der beschränkten Möglichkeiten, die Defizite im vorgegebenen
Zeitraum zu beheben.
Typ 2
Typ 2 wird „Fördern-Setting“ genannt und zielt primär auf die Zielgruppe der Neuzuzüger/innen im
Familiennachzug ab. Es ist durch eine Art professionelle Sozialberatung charakterisiert, die den Betroffenen
helfen und sie begleiten will. Dabei sollen Kompetenzen erweitert und Chancen genutzt
werden. Dieser direktiv-ermutigende Ansatz bezieht die Betroffenen in die Zielformulierung mit ein,
und es wird ein wohlwollendes Klima hergestellt, das ein produktives Arbeitsbündnis erlaubt. Dabei
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wird eine „ermöglichende Politik des Unterstützens“ realisiert, die die intrinsische Motivation der
Betroffenen zur Erfüllung der vereinbarten Ziele stärken soll.
Typ 3
Typ 3 heisst „Fördern-und-Fordern-Setting“ und ist ebenfalls primär bei Neuzuzügern/innen im Familiennachzug
zu beobachten. Es handelt sich um eine Hilfe durch sanften, gutgemeinten Druck,
wobei sachliche Information und Orientierung im Vordergrund stehen, aber wenig professionelle
Beratung oder Begleitung geboten wird. Der Gesprächsstil ist zugleich von wohlwollenden und drohenden
Momenten geprägt, was von den Betroffenen mitunter als verwirrend erlebt wird. Beabsichtigt
wird sowohl die Erzeugung von extrinsischer Motivation, als auch die Stärkung intrinsischer
Motivationsanteile.
Die am Ende dieses Berichts formulierten Empfehlungen zielen zum einen auf verbindlichere Vorgaben
auf allen Ebenen der politischen Exekutive (Bund und Kanton) und zum anderen auf ein grösseres
Mass an Standardisierung von Verfahrensschritten und -regeln. Es wird die Anwendung eines
zielgruppenbezogenen Verfahrenssettings vorgeschlagen, das zwischen Integrationsempfehlungen
und verpflichtenden IntV klar unterscheidet. Integrationsempfehlungen sollen mit (neuzuziehenden
oder bereits lange anwesenden) Personen abgeschlossen werden, die Integrationsdefizite aufweisen,
aus völkerrechtlichen Gründen jedoch nicht zu einer IntV verpflichtet werden können. Bei Personen
mit Integrationsdefiziten, die zu einer IntV verpflichtet werden können (Angehörige von
Drittstaaten), insbesondere wenn es sich dabei um mehrfach belastete Betroffene handelt und
wenn primär gesetzlich verankerte Integrationsziele verfolgt werden sollen, empfehlen wir die Implementierung
eines professionellen beratend-begleitenden Settings. Bei Personen, die zu einer IntV
verpflichtet werden könnten, aber keine Integrationsdefizite aufweisen, empfehlen wir, von einer
IntV abzusehen. Für alle neuzuziehenden Personen wird unabhängig von ihrem völkerrechtlichen
Status eine Erstinformation (Informations- und Orientierungsgespräch) empfohlen. Dieses persönliche
Gespräch kann für eine erste Einschätzung genutzt werden, um Betroffene mit erkennbaren
Integrationsdefiziten oder -risiken identifizieren zu können.
Schliesslich sollte die Rechtsform der beiden Instrumente (Integrationsempfehlung und IntV) geklärt
werden.