von Patrik Etschmayer / Quelle: news.ch / Montag, 21. Juni 2010 / 10:31 h
Wenn der Chemielehrer ein schmutzig-schwarzes Stäbchen aus einem mit Petroleum gefüllten Glas nahm, davon ein Stück mit einem Messer abschnitt und eine metallisch glänzende Schnittfläche zum Vorschein kam, die aber vor den Augen der teils erstaunten, teils gelangweilten Schüler sofort wieder ermattete, da sie mit der Luftfeuchtigkeit reagierte.
Dass dieses merkwürdige, weiche Metall einmal die Gier aller Industrienationen wecken könnte, hätte damals kaum jemand gedacht. Denn diese Nummer 3 im Periodensystem der Elemente, der leichteste und erste feste Stoff oberhalb von Wasserstoff und Helium, ist atomar gesehen so kompakt und reaktionsfreudig, dass sie fast unentbehrlich ist, wenn es um die Herstellung von effizienten Akkus geht: Sowohl für das Elektrolyt als auch für die positive Elektrode wird Lithium benötigt, soll der Akku im Verhältnis zur Leistungsdichte leicht und kompakt sein.
Wird es je zur Elektro-Mobilität kommen, werden für Akkus diese beiden Eigenschaften unglaublich wichtig sein. Es ist daher kein Zufall, dass fast alle Auto- und Batteriehersteller fieberhaft an neuen und besseren Lithium-Zellen für ihre zukünftigen Elektro-Autos arbeiten.
Und gerade als sich abzeichnet, dass ein Run auf dieses Metall ansteht (das auch noch für viele andere Dinge,wie zum Beispiel für Fusionsreaktoren notwendig ist), werden in Afghanistan «gigantische» Mengen dieses Materials entdeckt. Dazu harren in den unwirtlichen Weiten des bitterarmen Landes auch noch Gold, Eisen, Kupfer und Kobalt ihres Abbaus.
Potentiell ist das eine riesige Chance für Afghanistan und seine Bevölkerung. Die momentan fast nicht existente Wirtschaft könnte ein Standbein bekommen, Devisen, die nicht aus Hilfsprojekten oder Drogenverkäufen stammen.
Doch die Hoffnung auf das Element Nr. 3 könnte trügerisch sein. Sicher, viel schlimmer als im Moment kann es nicht werden. Aber ob es auch besser wird? Die Aussage, dass Afghanistan das Saudi Arabien des Lithium werden könnte, ist jedenfalls nicht unbedingt positiv und vergisst auch, dass Afghanistan aus einem ethnischen Gemisch besteht. Paschtunen, Tadschiken, Hazara und Usbeken würden alle danach streben, den neuen Reichtum für sich zu reklamieren oder zumindest ihr möglichstes tun, um dies zu erreichen.
Dazu kämen neue externe Interessen. Die momentan anwesenden Koalitionstruppen würden – auch wenn dies offiziell niemand zugibt - Wegbereiter für Rohstofffirmen wie «Rio Tinto» oder «BHP Billiton», die nicht unbedingt im Rufe stehen, Umweltschutz, Menschen- und Arbeiterrechte zu fördern, wo immer sie ihre Minen in Betrieb nehmen. Des deutschen Ex-Präsidenten Horst Köhlers Bemerkung über die Verteidigung nationaler Interessen im Ausland, die ihn am Ende in den Rücktritt trieb, erhält durch die Bekanntgabe dieser Rohstofffunde erstaunliche Brisanz.
Diese Firmen würden versuchen, ihre Interessen gegen die Chinesen durch zu setzen, die auch ein begehrliches Auge auf die neu entdeckten Rohstoffe in seinem Nachbarland geworfen haben. China ist momentan damit beschäftigt, sich weltweit Ressourcen zu sichern, seien die nun in Afrika, Südamerika oder Asien, und dieses Land hat – mangels freier Presse – noch geringere Skrupel als westliche Nationen, auch schmutzige Mittel zur Durchsetzung seiner Interessen anzuwenden, wie man am klarsten im Sudan sehen kann, wo China für seine Öl-Interessen einen Bürgerkrieg aktiv anheizte.
Aus der anfangs noch frohen Botschaft wird mit jedem neuen geopolitischen Puzzlestück ein Bild von einem neuen Afghanistan zusammen gesetzt, das zwar reich an Rohstoffen sein wird aber ein Reichtum an Frieden und Wohlstand für das Volk scheint genau so weit weg zu sein wie je. Nummer 3 hin oder her.