Regula Stämpfli / Quelle: news.ch / Mittwoch, 2. November 2011 / 08:37 h
Von den Occupy-Menschen abgesehen, sahen alle gleich aus: sogenannte gestandene Männer in Anzügen. Dieses Bild zeigt, dass nicht nur Plätze, sondern auch das herrschende Denken besetzt werden sollte.
Es sassen Menschen zusammen, die durch die gemeinsame Sprache getrennt wurden. Die gestandenen Herren, inklusive Moderator, brachten ihre Sterilität, ihr auf Automatismen gerichtetes Programm zum Ausdruck. Da wurde mit Verständnis auf die Proteste wie auf kleine Kinder reagiert, die den Eltern vor Augen führen, wie diese ihr Leben verschwenden. Stakkatomässig wiederholten die Banker-, Manager- und Wissenschaftler ihre Dogmen der Dummheit.
«Die Finanzkrise hat mit der Schuldenkrise nichts zu tun», «Die Staaten sind schuld, nicht die Banken», «Der Markt ist grundsätzlich das beste Instrument, alles zu regeln, nur hat er in den USA eben versagt» usw. Besonders hübsch war der Habitus des «Verstehenden». Der Experte übernahm genau seine Rolle: Er erstickte jede Debatte im Kern. Dabei ist Occupy vor allem auch Diskussion. Occupy will die Veränderung der Welt. Occupy zeigt, was System ist und wie irr dieses geworden ist. Doch Medien, Experten und Politiker können nicht mal «Veränderung» buchstabieren, geschweige denn leben. «Was sind denn genau die Forderungen?» «Wo ist Euer Programm?» «Habt Ihr den richtigen Platz ausgesucht?» «Würdet Ihr nicht besser in Brüssel demonstrieren?»
Hallo? Occupy ist Basisdemokratie. Occupy will sich nicht für einzelne Gruppierungen vereinnahmen lassen. Occupy beschliesst in einer Vollversammlung, welche Positionen als Occupy und welche Positionen als Raffael Wüthrich und als Julia Richard geäussert werden.
Echt. Wenn die Systemmenschen endlich auf uns Menschen hören würden, dann wäre sicher schon ein Fortschritt erreicht.
Occupy-Paradeplatz: Basisdemokratie gegen Dogmen der Dummheit /


Doch Systemtaubheit und -blindheit ist immer noch beherrschend. Menschen, die wie Abziehbilder irgendeines Schaufensters oder Kataloges rumlaufen, können nicht wirklich hören und sehen. Sie sind taub und blind für die Buntheit, die Wildheit, die Lust und das unkontrollierte Leben. Sie haben Angst vor jeder Qualität, welche nicht markt- und quotengerecht ist. Schauen wir doch auf Griechenland. Ein unfassbar schönes Land mit teilweise unfassbar schönen Menschen. Immer lebendig, immer etwas chaotisch, immer sich etwas am Abgrund bewegend, doch meist sonnig. Und jetzt wird mit einer sterilen, von der in der DDR sozialisierten Angela Merkel konzipierten Geldpolitik, den Griechen mit aller Härte das Leben ausgetrieben. Die Griechen sind in Europa die ersten und offensichtlichsten Sklaven der herrschenden Geldreligion. Sie bezahlen für die Feudalherrn, welche ihr Vermögen in der Deutschen Bank, in der UBS, bei Goldman Sachs u.a., ja eigentlich überall, ausser für die Allgemeinheit und Menschlichkeit, deponiert haben.
Dass seit 2008 jeder Wert, an welchen wir naiven Demokratinnen und Demokraten noch glaubten, zerstört, lächerlich gemacht und umgedeutet wird, fährt je länger je mehr vielen Menschen ein. Das ist eben auch Occupy. Das plötzliche Realisieren, dass nicht nur das Finanzsystem auf einer menschenzerstörenden Basis, sondern die mit dem Finanzsystem verbundenen sogenannte Reformen und Harmonisierungen ein eigentliches Kriegsprogramm darstellen.
Hannah Arendt schreibt in ihrer Vita activa, wie das moderne Finanzsystem, das nicht nur mit seinen Mechanismen, sondern eben auch mit seiner Denkweise, je länger je mehr eine Sterilität hervorruft, welche die Menschen als Menschen stumm macht. Die Menschen im Lindenhof haben sich nun einen Platz genommen. Ich hoffe, dass sie nicht nur den Raum, sondern auch das Denken mit Buntheit, mit Basisdemokratie, mit Diskussionen besetzen. Und dass mit Occupy endlich wieder die Menschen als Menschen und nicht als Funktions-, Smartspider- und Systemträger zu reden beginnen. Nur wer die Welt anders denkt und sieht, kann die Welt auch verändern.