Als Schiedsrichter Eriksson die Partie abpfiff, brachen in Warschau alle Dämme. Während die Russen konsterniert den Rasen verliessen, stürmten die griechischen Auswechselspieler und Staffmitglieder auf den Platz und bejubelten den ersten Sieg im sechsten EM-Spiel nach dem Titelgewinn 2004. Allen voran Siegestorschütze Georgios Karagounis, der die Partie massiv geprägt hatte und nach etwas mehr als einer Stunde ausgewechselt worden war.
Karagounis' Wechselbad der Gefühle
Der goldene Treffer unmittelbar vor der Pause und schon in der Nachspielzeit war eher entgegen dem Spielverlauf gefallen, hatten doch die Russen nach anfänglichen Schwierigkeiten die Partie immer besser in den Griff bekommen. Anstatt aber mindestens mit dem torlosen Unentschieden die Seiten zu wechseln, präsentierten sie den Griechen geradezu die Einladung zum Führungstreffer. In unfreiwilliger Spendierlaune zeigte sich dabei in seinem 78. Länderspiel Sergej Ignaschewitsch. Der 32-jährige Verteidiger von ZSKA Moskau leitete einen Einwurf per Kopf fälschlicherweise nicht nach vorne sondern seitlich nach hinten weiter und lancierte damit Karagounis.
Der Spielmacher von Panathinaikos Athen liess sich nicht lange bitten, zog los und bezwang Wjatscheslaw Malafejew. Der 35-jährige Karagounis krönte damit seinen ohnehin besonderen Abend ganz speziell. Er bestritt gestern sein 120. Spiel im Dress der hellenischen Landesauswahl und hat damit den nationalen Rekord eingestellt, den bisher Theodoros Zagorakis allein für sich beanspruchte. Karagounis stand in seinem Rekordmatch auch anschliessend im Zentrum, der schwedische Schiedsrichter Eriksson versagte ihm allerdings die mögliche Krönung. Als sich Griechenlands Nummer 10 stark durchtankte und im Strafraum zu Fall kam, taxierte der Ref dies als «Schwalbe» obwohl der Kontakt mit dem Bein des Verteidigers zweifelsfrei bestand. Statt des möglichen Penaltys und der Chance zum 2:0 wurde Karagounis verwarnt, was ihn auch die Teilnahme am möglichen Viertelfinal kostet, da er vorbelastet war.
Ideenlose Russen
In der Folge verliessen bei Griechenland mit Karagounis und Gekas zwei offensive Leute den Platz, während Russland natürlich den Druck verstärkte. Dick Advocaats Spielern fehlte aber die Leichtigkeit aus dem Testspiel gegen Italien und dem EM-Startspiel gegen Tschechien völlig und sie hatten kaum Ideen. Die knapp 20'000 russischen Fans im Nationalstadion von Warschau hatten nur noch einmal Torjubel auf den Lippen, als ein Kopfball des schon dreifachen Torschützen Alan Dsagojew ganz knapp am Pfosten vorbeisegelte (82.). Auch die Hereinnahme von Roman Pawljutschenko anstelle von Kerschakow nach der Pause brachte nichts, von Andrej Arschawin kamen zudem zu wenige Impulse. Beklagen dürfen hätte sich auch niemand über einen zweiten griechischen Treffer: Ein Freistoss von Georgios Tzavellas prallte von der Latte zurück (70.).
Griechenland besser gestartet
Die Partie hatte unter ungewohnten Vorzeichen begonnen. Den offensivstarken Russen reichte ein Unentschieden in jedem Fall zum Weiterkommen, die bevorzugt aus einer massierten Abwehr heraus operierenden Griechen mussten unbedingt gewinnen, um weiterzukommen. Trainer Fernando Santos hatte sein Team nicht nur auf vier Positionen umgestellt, sondern offensichtlich auch auf die Wichtigkeit einer gelungenen Startphase hingewiesen. Im Gegensatz zu den Partien gegen Polen, als das erste Gegentor in der 17. Minute gefallen war und Tschechien - 0:2 nach sechs Minuten - leistete sich Griechenland diesmal keine defensiven Aussetzer und hatte durch Konstantinos Katsouranis und Vassilios Torosidis (6.) die ersten beiden gefährlichen Vorstösse.
Russland, wiederum auf einen sechs Mann starken Block von Zenit St. Petersburg bauend, kam in der Folge zu einem optischen Übergewicht.
Was für eine Überraschung: Griechenland ist eine Runde weiter. /


Den Griechen gelang es aber, den Favoriten relativ weit vom eigenen Tor zu halten und so war Ersatzgoalie Michail Sifakis in der ersten Halbzeit nur bei Distanzschüssen von Alexander Kerschakow und Juri Schirkow wirklich in Gefahr, beide Versuche verfehlten das Ziel aber knapp.
Vor Spielbeginn hatte niemand ernsthaft mit einem solchen Ausgang gerechnet. Die Russen waren der erklärte Angstgegner der Griechen und hatten nur 3 von 21 Direktduellen gewonnen, die Russen selber waren zudem seit 16 Partien und seit Februar 2011 ungeschlagen und hatten in den letzten Monaten und nun auch in Polen wiederholt ihr riesiges spielerisches Potenzial angedeutet. Zum Verhängnis wurde ihnen nun aber einmal mehr ihre Nonchalance und das mangelnde Auftreten als Team.
Griechenland - Russland 1:0 (1:0)
Nationalstadion, Warschau. - 55'614 Zuschauer. - SR Eriksson (Sd). - Tor: 45. Karagounis 1:0.
Griechenland: Sifakis; Torosidis, Papastathopoulos, Kyriakos Papadopulos, Tzavellas; Maniatis, Katsouranis; Salpingidis (83. Ninis), Karagounis (67. Makos), Samaras; Gekas (64. Holebas).
Russland: Malafejew; Anjukow (81. Ismailow), Alexej Beresuzki, Ignaschewitsch, Schirkow; Schirokow, Denissow, Gluschakow (72. Pogrebnjak); Dsagojew, Kerschakow (46. Pawljutschenko), Arschawin.
Bemerkungen: Griechenland ohne Chalkias und Avraam Papadopoulos (beide verletzt). 70. Lattenschuss Tzavellas. Verwarnungen: 61. Karagounis (Unsportlichkeit/im nächsten Spiel gesperrt). 69. Schirkow (Foul). 70. Dsagojew (Foul/im nächsten Spiel gesperrt). 94. Holebas (Foul/im nächsten Match gesperrt).