Die Meinungen, die Hamed Abdel-Samad vertritt, können viele Menschen in Deutschland nachvollziehen. In Ägypten, wo der kritische Publizist aufgewachsen hat, gelten seine Thesen dagegen als radikal. Der Deutsch-Ägypter argumentiert, dass die Grundsätze des Islams keine ewige Wahrheit seien, sondern vielmehr im historischen Kontext relativiert werden sollten.
Zwar würden nur sehr wenige Ägypter so weit gehen wie die Salafisten-Scheichs. Jene erklärten den zwischen Ost und West pendelnden Denker im vergangenen Sommer zum «Ungläubigen», den man töten darf. Auslöser war sein Kommentar über «religiösen Faschismus».
Doch seine Theorie, wonach die Eroberung der Stadt Mekka durch die Anhänger des Propheten Mohammed die Saat für diesen bis heute nachwirkenden «religiösen Faschismus» gelegt habe, finden viele Muslime in Ägypten anstössig.
Allerdings ist Abdel-Samad in Ägypten - abgesehen von der Aufregung um die Todes-Fatwas gegen ihn - auch deutlich weniger bekannt, als in Deutschland. In seiner neuen Heimat nimmt er häufig an TV-Sendungen teil, die sich mit dem Islam befassen.
Bruder hat Anzeige erstattet
Für seinen Bruder Mahmud, mit dem Abdel-Samad kurz vor seinem Verschwinden noch telefoniert hatte, steht fest, dass islamistische Fanatiker hinter der Entführung stecken. Der Bruder erstattete Anzeige gegen die Al-Gamaa Al-Islamija. Die radikale Bewegung hatte während der Regierungszeit des inzwischen gestürzten islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi erheblichen Einfluss.
Seit der Entmachtung Mursis durch das Militär, die von Abdel-Samad begrüsst worden war, sind in Ägypten Tausende von Islamisten hinter Gittern verschwunden.
Der islamkritische deutsch-ägyptische Autor Hamed Abdel-Samad. /


Militante Islamisten-Gruppen haben mehrere Terroranschläge verübt, vor allem auf der Sinai-Halbinsel.
Verwandte, Freunde und deutsche Diplomaten machen sich jetzt grosse Sorgen um den Verschwundenen. «Wir sind Freunde, und ich hoffe, dass er zurückkehrt, um weiterhin seine Rolle als frei denkender Schriftsteller, der seine Ideen und Prinzipien verteidigt, wahrzunehmen», sagt sein Kairoer Verleger Mohammed Haschim.
Wenig Anhaltspunkte
Die Polizei hat bei ihrer Suche nach den mutmasslichen Entführern nicht viele Anhaltspunkte. Sie weiss nur aus dem letzten Telefonat zwischen Abdel-Samad und einem seiner Brüder, dass ein schwarzes Auto dem Schriftsteller von seinem Hotel bis zu dem Park, in dem er verabredet war, gefolgt war.
Zudem wartete der Fahrer des verdächtigen Fahrzeuges auch dann noch auf Abdel-Samad, als jener den Park verliess. Kurz darauf riss der Telefonkontakt zu Abdel-Samad ab.
Intellektuelle, säkulare Denker und Religionsgelehrte, die unorthodoxe Thesen vertreten, sind in Ägypten schon häufig Ziel von Anfeindungen und Angriffen radikaler Islamisten geworden. 1992 wurde der Publizist Farag Foda ermordet.
Der Islamwissenschaftler Nasr Hamid Abu Zeid ging ins Exil. Er war zuvor in Kairo gegen seinen Willen von seiner Frau geschieden worden, weil er angeblich «vom islamischen Glauben abgefallen war». 1994 verletzte ein Fanatiker den Literaturnobelpreisträger Naguib Mahfus wegen angeblich «blasphemischer» Äusserungen in einem Roman mit dem Messer. Hinterher stellt sich heraus, das der Attentäter das Buch nicht einmal gelesen hatte.