Patrik Etschmayer / Quelle: news.ch / Dienstag, 22. April 2014 / 10:54 h
Der letzte Schlag kam von Mercedes Benz. Nach der Totalrevision der A-Klasse von Rentner-Box zum Jungdynamiker wurde die CLA-Coupé-Version nachgereicht, die in ihrer Spitzenmotorisierung, im sogenannten CLA 45 AMG, satte 360 PS aus zwei Litern Hubraum an die vier angetriebenen Räder verteilt.
Damit steht Mercedes derzeit an der Spitze eines Rennens, das vor fast 40 Jahren von VW mit dem legendären Golf GTI gestartet wurde. Damals, als das Benzin noch verbleit, die Strassen frei und Leichenschauhäuser voller Verkehrsopfer waren, galten die 110 PS, die der GTI bot, als unglaublich sportlich. Und es war durchaus möglich, die Limits eines solchen Autos auf entsprechend leeren Strassen auszuschöpfen. Diese Grenzerkundung endete denn auch nicht selten mit einer innigen Vereinigung von Auto, Fahrer und Tanne am Strassenrand.
Sagen wir mal so: es konnte lustig sein, solange es nicht krachte.
Schnitt ins Jahr 2014. Auf Schweizer Strassen hat es mehr Autos als je zuvor. Und unter den Motorhauben ist je länger je mehr Leistung verstaut, die immer weniger ausgenützt werden kann. Zum Einen, weil der Verkehr aufgrund der wachsenden Bevölkerung immer dichter wird, zum Anderen auch, weil die Kontrollen der Geschwindigkeit immer häufiger werden und Bussgelder als Teil der Gemeindehaushalte nach Vorgabe eingehoben werden müssen.
Konzeptwagen VW Golf R400: Im Stau mit 400 PS. /


Mobile Radaranlagen, Lasermesspistolen und stationäre Kontrollanlagen sind allgegenwärtig.
Der Besitz des oben erwähnten CLA 45 AMG, eines BMW M135i mit 320 PS (Rang 2 auf der Kompakt-Renner-Liste), oder der je 300 PS starken Audi S3 und VW Golf R, müssten in der Schweiz eigentlich vor allem eines sein: Quelle unendlicher Frustration und Paranoia. Wer die Gaspedale dieser Kompakt-Raketen auch nur einmal durchdrückt, befindet sich auf jeder Landstrasse im Nu zwischen dem 3- bis 4-Stelligen Bussenbereich und einem Gefängnisaufenthalt.
Trotzdem verkaufen sich diese Modelle in der Schweiz unglaublich gut. Im umliegenden Ausland sind diese Kraftlackel auf Rädern echte Raritäten - bei uns hingegen finden sich massigst Autos mit den prestigeträchtigen RS, R, M und AMG-Schildchen auf der Strasse. Die Frage ist nun wirklich: Warum??
Ist dies etwa das gleiche Phänomen wie bei vielen SUV-Käufer, das «ich-könnte-wenn-ich-wollte»-Mantra? Oder geht es einfach um den Parkplatz-Effekt, das Wissen, dass man bestimmt den stärksten Kompakt-Wagen auf dem Kneipen-Parkplatz hat, wenn man aussteigt? Denn um die im Alltag erzielbaren Fahrleistungen kann es nicht gehen - ausser man hat das Bedürfnis, in der Zeitung zu erscheinen. Und alleine für Ausflüge zum Nürburgring dürfte sich kaum jemand diese Raketen mit Rädern anschaffen.
Fragt sich einfach noch, ob dieses «wenn ich nur dürfte/könnte, würde ich», das der Fahrt mit so einem Auto ständig inne liegt, auch zu der immer grösseren Aggression im Strassenverkehr beiträgt, einfach aus einer reinen, kognitiven PS-Geschwindigkeits-Dissonanz heraus.
Fakt bleibt: In der Schweiz sind diese Autos, die ansonsten vor allem aus Image-Gründen angeboten werden, ein kommerzieller Erfolg sondergleichen und die Hochrüstungsspirale dreht sich weiter. Für den Herbst wird von Audi der RS3 mit ebenfalls mindestens 360 PS erwartet (weniger als Mercedes geht ja nun wirklich nicht!). Und VW hat an der Bejing Motor Show soeben einen sehr serienreif aussehenden VW Golf R vorgestellt, dessen Modellbezeichnung mit einer «400» ergänzt worden ist. Ja, sie haben es erraten: Sollte dieser Golf kommen - und die Zeichen stehen so, dass kaum ein Zweifel daran herrscht - werden bei uns bald 400 PS-Golfs die Strassen bevölkern und fast soviel Leistung unter der Haube haben wie ein Formel 1-Auto in der Zeit des ersten Golf GTI... und wenn das beim täglichen Pendeln nicht für Mega-Spass sorgt, was dann?