Patrik Etschmayer / Montag, 2. Mai 2016
Es ist Zeit anzuerkennen, dass die echten Verfolgten in unserer Gesellschaft nicht diskriminierte und systemisch benachteiligte Gruppen und Menschen in materieller Not sind, sondern politische Schwergewichte mit Milliardenvermögen. Protokoll eines anonymisierten Therapiegespräches mit einem schockierenden Ende.
Guten morgen, Herr X, wollen Sie sich lieber hinsetzen oder hinlegen?
Ein echter Eidgenosse steht zu seiner Meinung!
Sie dürfen natürlich auch stehen, wenn Sie sich dabei gut fühlen.
Wie soll ich mich jemals wieder gut fühlen? Ich bin ein Verfolgter!
Sie fühlen sich also verfolgt?
Ich fühle mich nicht verfolgt. Ich bin verfolgt! Gegen mich wird gehetzt! Kein Wort kann ich sagen, ohne dass mir Lügen, Faktenverdrehen oder gar Hetze vorgeworfen wird!
Seit wann haben Sie dieses Gefühl?
Das ist kein Gefühl, verstanden? Und es begann Anfang des Jahres. Es war alles wunderbar. Die Sozis am Boden. Endlich konnten wir machen, was wir wollten und alles sah so gut aus!
Wen meinen sie mit 'wir'?
Wir? Wir alle, die hier in der Schweiz sind und für die Schweiz kämpfen. Echte Eidgenossen eben!
Und Sie werden zusammen mit diesen... Eidgenossen... verfolgt?
Ja, auf einmal wurde gegen uns gehetzt! Ganz grausam. Wir wurden als Lügner bezeichnet, als Radikale und Agitatoren. Vor allem in diesem neuen Ding da, diesem Interweb!
Sie meinen das Internet?
Ja. Und an einem Ort, das sozialistische Medien heisst. Typisch linkes Zeugs!
Sie meinen 'social media'?
Das ist auch nicht weniger links, wenn man's auf Englisch sagt. Meine Tochter kann auch Englisch und die fand auch, dass das alles gottlose Kommunisten sind!
Und diese Kommunisten haben gegen Sie gehetzt?
Ja, wir wurden von denen verfolgt, wie seinerzeit die Nazis uns verfolgt haben.
Sie wurden von den Nazis verfolgt?
Ich meinte die Juden. Aber genau gleich!
Sie und Ihre Freunde wurden enteignet, vertrieben, deportiert und in Vernichtungslager gebracht, um dort ermordet zu werden? Sind Sie sicher, dass das wirklich passiert ist?
Natürlich bin ich sicher! Es hat sich genau so, wenn nicht schlimmer angefühlt, als plötzlich dieses Monster mit dem rosa Mantel auftauchte. Wie ein SS-Mantel.
Könnten Sie bitte aufhören, auf meinen Tisch zu hauen? Danke... Wo waren wir, ah ja, es fühlte sich an wie ein KZ? Das muss ja grausam gewesen sein. Und wer griff Sie an? Ein rosa gekleideter SS-Mann?
Noch schlimmer. Eine Frau. Eine Harpyie. Eine SS-Nazi-Harpie! Das ist ein Zeichen, dass das jüngste Gericht bald schon da ist! Jedenfalls, die Verfolgung war grausam! Gnadenlos.
Ich vermag Ihnen nun wirklich nicht mehr genau zu folgen... vielleicht wird es ja klarer, wenn Sie mir erklären, wofür Sie denn so grausam verfolgt werden.
Weil wir für das Volch eintraten!
Das was?
Das Volch!
Das Volch? ... Ah, das Volk!
Sind sie auch so ein Nazi-Kommunist, der hinter uns her ist und das Volch unterdrücken will?
Warum? Ich habe ja nur...
Ha, hab ich's gewusst. Nirgends ist man vor diesen Judennazikommunistenlinken mehr sicher!
Herr X, ich muss Sie bitten!
Ha erst bitten Sie und dann lassen Sie mich deportieren! Ich bin hier raus, bevor Ihre Schergen hier sind!
(Rasche Schritte, Türe schägt zu. Telefonhörer wird etwas später abgenommen.)
Flavia? Ja, ich bin's. Er ist entkommen, bevor das Greifkommando hier war... Keine Ahnung wie er drauf kam... Ja sicher, wir bleiben dran!