CNN-Wirtschaftskorrespondent Richard Quest / Quelle: news.ch / Mittwoch, 15. Januar 2014 / 14:57 h
Jedes Jahr wird im Vorfeld des Weltwirtschaftsforums (WEF) von den Organisatoren das Motto der Veranstaltung bekannt gegeben. Dabei handelt es sich stets um ein wortreiches Stück prätentiösen Unsinns, der zusammenfassen soll, worauf der Schwerpunkt der in den Schweizer Alpen stattfindenden Diskussionen liegen soll. Dieses Jahr steht das WEF unter der Überschrift «Die Neugestaltung der Welt: Konsequenzen für Gesellschaft, Politik und Wirtschaft».
Oft wird das eigentliche Thema jedoch von Krisen, drängenden Fragen sowie akuten Brandherden in der Wirtschaft überlagert und jeder Teilnehmer hat das Motto - lange bevor die ersten Marshmallows in der ersten heissen Schokolade geschmolzen sind - schon wieder vergessen.
Plötzlich fiel mir auf, dass ich diese Zeilen gerade auf einem iPad schrieb, und zwar mit einer Bluetooth-Tastatur, während ich in einem Flugzeug 10'000 Meter über dem Boden schwebte, und das Internet an Board dazu nutzte, einen Blogeintrag eines einflussreichen 19-jährigen zu lesen, der aus einem Schwellenmarkt im Osten stammt. Moment mal, dachte ich: Vielleicht hat das Thema dieses Jahr doch einen etwas längeren Atem als sonst. Und entgegen aller Tradition könnte das Motto sogar einmal Sinn ergeben (vorausgesetzt natürlich, man kann das Ganze auf eine allgemein verständliche Sprache herunterbrechen)!
Mit dem Motto erkennen die Organisatoren des WEF an, dass es während der vielen Krisen in den letzten fünf Jahren überall und gleichzeitig zu massiven Veränderungen kam: Das allgegenwärtige Internet hat den Weg in einst geschlossene Gesellschaften gefunden; Social Media ist quasi explodiert; eine Revolution hat in der Kommunikation stattgefunden; neue, einflussreiche Volkswirtschaften sind entstanden und die Wirtschaftskraft verlagert sich immer mehr in Richtung Osten. In unfassbar kurzer Zeit haben sich alle anerkannten Wahrheiten, die uns mehr oder weniger seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs geleitet und begleitet haben, in Rauch aufgelöst.
In Davos wird man dieses Jahr nicht nur verkünden, dass die unmittelbare Krise inzwischen ausgestanden ist, sondern auch feststellen, dass es nun an der Zeit ist, darüber nachzudenken, was als Nächstes kommt - und wie wir damit umgehen. Die Teilnehmer werden die Frage erörtern, wie die Gesellschaft in dieser neuen Welt künftig ihre Entscheidungen treffen soll.
Ich glaube, das WEF hat nicht ganz unrecht. Es geht ja nicht nur um Smartphones, Blogs und Facebook. Es geht darum, dass wir heute fast alles anders machen als früher.
Richard Quest ist Wirtschaftsmoderator bei CNN International
und moderiert dort die Sendungen Marketplace Europe
und Quest Means Business. /


Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Trümmerhaufen der Krise der letzten fünf Jahre sind überall zu sehen. Dabei ist eine Landschaft entstanden, in der die alten Regeln nicht länger Anwendung finden und neue Gesetze erst geschrieben und vereinbart werden müssen. Wirtschaftlich gesehen gehört momentan den Zentralbankern die Welt. Gesellschaftlich gefährdet eine ,verlorene Generation' den Zusammenhalt untereinander. Und in kultureller Hinsicht ist das Thema Privatsphäre zum vorherrschenden Thema geworden - angefangen bei den Bespitzelungen der Regierungen im NSA-Stil, bis hin zu privatwirtschaftlichen Unternehmen wie Facebook, Google (einschliesslich des verblüffenden Kaufs des Thermostat- und Rauchmelderherstellers Nest diese Woche) und Yahoo, die allesamt glauben, es sei in Ordnung, meine Daten so zu behandeln, als seien es ihre eigenen - und sie dann weiterverkaufen.
Unter den beiden folgenden Voraussetzungen ist Davos bislang immer ein Erfolg gewesen: Wenn es einen riesigen Brandherd gegeben hat und die Entscheidungsträger der Wirtschaft zusammentrafen, um ihn gemeinsam zu löschen (der Nahe Osten, die Weltwirtschaftskrise ab 2007 und die Krise in der Eurozone kommen da einem in den Sinn); oder wenn es in der Wirtschaft oder der Gesellschaft zu fundamentalen Veränderungen und bahnbrechenden Ereignissen kam. Oft wird beim Weltwirtschaftsforum das Thema über die Grenzen der Belastbarkeit strapaziert. Doch ich glaube nicht, dass das dieses Jahr der Fall sein wird. Die
Themen sind vorhersehbar; jeder hat sie auf dem Schirm - wir wissen alle, dass «sich die Zeiten geändert haben» und dass wir uns keineswegs sicher sind, wie wir damit umgehen sollen.
Die Frage ist, ob die Gäste, die in den Schweizer Skiort reisen, ihre eigene kleine Agenda für ein paar Tage zur Seite legen werden und stattdessen über die Welt diskutieren, wie wir sie heute erleben und in der die lange überfällige wirtschaftlichen Erholung endlich greift? Dabei sollten die Teilnehmer des Weltwirtschaftsforums auch die Rolle des Staates, der klassischen Massenmedien, Social Media, und der damit in Verbindung stehenden Wirtschaft überdenken und besprechen. Sollte ihnen das gelingen, hat sich unsere Reise in die Schweizer Berge auf jeden Fall gelohnt.
Natürlich setzt das voraus, dass die führenden Wirtschaftsexperten, Firmenchefs, Politiker und Intellektuellen ihren Worten in Davos auch Taten folgen lassen und tatsächlich heterarchisch handeln. Vielleicht sollte man ein Wörterbuch für die Gäste des WEF auslegen, falls jemand bei diesem Ausdruck irgendwelche Schwierigkeiten oder Zweifel haben sollte.