asu / Quelle: news.ch / Donnerstag, 10. Juni 2010 / 14:17 h
Ein unheimlicher Serienmörder geht um
Heavy Rain passt in kein klassisches Spielegenre. Man könnte es als ein filmartig inszeniertes Spiel, kombiniert mit Action- und Adventureelementen, bezeichnen. Ein interaktives Drama mit packender Handlung und Passagen von Schaudermomenten und Entsetzen.
Eine Mordserie mit unheimlichen Parallelen irgendwo an der Ostküste der USA verbreitet Angst und Schrecken. Acht unschuldige Kinder wurden in nur drei Jahren - ausschliesslich während der herbstlichen Regenzeit - ermordet aufgefunden. Acht Knaben, erst vermisst, dann je nach Stärke der Regenfälle drei bis fünf Tage später entdeckt. In der Nähe von Bahngleisen. Ertrunken im Regenwasser. Auf den Leichen eine Orchidee und in der Hand der Opfer eine gefaltete Papierfigur im Origami-Stil.
Jetzt hat es wieder zu regnen begonnen. Es ist Herbst. Und Shaun, der Sohn von Ethan Mars, ist vom Origami-Killer entführt worden…
Vier gegen einen
Der Spieler schlüpft in die Haut von vier Personen und übernimmt deren Handlungen, die zwangsläufig mit der Aufklärung der entsetzlichen Mordserie konfrontiert werden. Welche Rolle der lebensmüde Ethan Mars genau einnehmen soll, kann ich ein ganzes Stück weit selber steuern und bestimmen. So entscheide ich, wie mein Charakter auf eine bestimmte Situation reagieren soll, wer lebt oder stirbt, wer den Fall löst, auf welche Weise ein Problem enträtselt wird und ob überhaupt gehandelt werden soll. Hier bin ich sozusagen Schauspieler und Regisseur in einer Person.
Natürlich müssen gewisse Eckpunkte und Schlüsselorte im Storyverlauf festgesetzt bleiben. So auch die Agenda des Origami-Killers oder Vorgaben von Situationen, mit denen der Spieler konfrontiert wird. Wie er aber diese meistern will, bleibt ihm überlassen. Sein Handeln wirkt sich aufs weitere Geschehen aus. Der Ablauf der Geschichte ist also sehr dynamisch gestaltet. Mehrere mögliche Enden des Spiels wurden kalkuliert. Und so bestimmt der Spieler den Ausgang der Geschichte. Dies sorgt für einen hohen Wiederspielwert.
Nebst Ethan Mars übernimmt der Spieler im Verlauf des Games die Rollen des drogensüchtigen FBI-Profilers Norman Jayden, der sensationslüsternen Journalistin Madison Page und die des schnoddrigen Privatdetektiv Scott Shelby. Sehr bald wird man in diesem interaktiven Kino-Thriller unweigerlich mit einer zentralen Frage konfrontiert: «Wie weit würdest du gehen, um jemanden zu retten, den du liebst?» Und Ethan wird für seinen entführten Sohn durch die Hölle gehen.
Ein Doppelleben im Cyberspace
Um den Spieler noch tiefer ins Geschehen hinein zu versetzen, ihn so nahe wie möglich am Leben der handelnden Personen teilhaben zu lassen, muss er per Sixaxis-Controller oft auch banalen Alltagstätigkeiten, wie Zähne putzen oder duschen, nachgehen. Um beispielsweise die Haare abzutrocknen, muss der Spieler seinen kabellosen Controller einfach hastig schütteln.
Ethan Mars sucht verzweifelt seinen Sohn: Heavy Rain (PS3) /

Heavy Rain: Steht im Hintergrund der Origami-Killer? /


Der Detailgrad bezüglich derartigen Routinehandlungen ist meiner Meinung nach zu hoch angesetzt, obwohl diese Belanglosigkeiten zweifelsfrei einen guten Beitrag zur Atmosphäre des Spiels leisten. Es wird durchaus auch mit diesen Elementen Spannung erzeugt. Für brisante oder bewegende Momente sorgt auch die stimmungsvolle Musik.
Sensibilität und Blitzreflexe gefordert
Die Ausführung der Handlungen erfolgt mit Hilfe der vier Haupttasten (Dreieck, Kreis, Kreuz, Quadrat) und dem rechten Analogstick des PS3-Controllers. Gerade bei Aktionen, die eine sensible Herangehensweise erfordern, z.B. eine Wunde säubern oder eine Türe leise öffnen, ist die Verwendung des Analogsticks unersetzlich, weil nur durch ihn ganz, ganz sachte Bewegungen ermöglicht werden.
Für dramatische Situationen ist die vorgesehene Steuerung manchmal zu umständlich und strapaziös. Dann müssen nämlich Kombinationen von ad hoc vorgegebenen Tastensymbolen ausgeführt werden, die dem Spieler eine dermassen hohe Reaktionszeit abverlangen, dass es im Vergleich dazu fast einfacher wäre, Garn bei einer laufenden Nähmaschine einzufädeln.
Kein «Game Over»
Weite Passagen von Heavy Rain sind mit Quick-Time-Events ausgestattet. Sie werden ausgelöst und laufen ab, sobald zum richtigen Zeitpunkt eine bestimmte Taste gedrückt wird. Mit Schaudern erinnere ich mich an das Laserdisc-Spektakel Dragon’s Lair und Space Ace, deren Interaktivität nur darin bestand, zu überleben und in der Handlung voran zu kommen oder zu sterben. Wenn man den perfekten Zeitpunkt der Button-Eingabe verfehlte, was meistens der Fall war, kriegte man als einzige Alternative eine der zahlreichen kurzen Trickfilmsequenzen seines Todes zu sehen.
Gottlob nicht so bei Heavy Rain. Dem Spieler werden bis zu vier Optionen geboten. Obwohl öfters auch Entscheidungen unter starkem Zeitdruck gemacht werden müssen, unterscheidet das Game nicht einfach zwischen richtig oder falsch. Es kennt nur Konsequenzen. Bezüglich Spielverlauf ist das viel spannender, als eine simple Reihe unterschiedlicher «Game Over»-Anzeigen. So öffnen sich neue Kapitel, der Verlauf einer Szene erfährt eine überraschende Wendung, oder ein Handlungsstrang wird abgeschlossen. Es kann sogar soweit kommen, dass eine der Hauptfiguren stirbt. Das Spiel geht aber trotzdem weiter.
Fazit
Wer Thriller mag, wird Heavy Rain lieben. Und wer sich darüber hinaus gar aktiv in eine gefahrvolle, nervenzerreissende Geschichte hinein versetzen lassen will, fährt mit diesem Titel genau richtig. Denn hier wird der Benutzer Bestandteil der Handlung. Selbst wer astreinen Videospielen sonst nichts abgewinnen kann, könnte sich für dieses Werk begeistern, denn Heavy Rain bietet sich im Grundsatz als interaktive Unterhaltung an. Interaktivität, die überzeugt und seinem Namen gerecht wird. Gewisse triviale Alltagstätigkeiten sind für meinen Geschmack etwas zu grosszügig implementiert worden. Trotzdem ist Heavy Rain sehr abwechslungsreich: Es bietet menschliche Dramen, Paniksituationen, rasante Action und gefühlvolle Romantik. Die Spielzeit kann zwar recht variieren, ist aber mit durchschnittlich 10 Stunden halt doch recht kurz ausgefallen.