Regula Stämpfli / Quelle: news.ch / Mittwoch, 8. August 2012 / 10:44 h
«Als Liberaler sei er natürlich dafür» meinte er in Radio 1, dass man einkaufen dürfe «wo jeder doch wolle». Doch man solle sich «bewusst sein, dass wenn man als Schweizer im Ausland einkauft, dies nur so billig tun kann, weil im Ausland ein anderes Lohnniveau, andere Sozialleistungen und andere Qualität gefragt sind.» Hoppla! Ein Gewerbevertreter, der endlich einsieht, dass die von den Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen seit Jahren geforderten flankierenden Massnahmen bei allen internationalen Verträgen eine conditio sine qua non sind. Super. Das ist doch mal ein Plan für eine neue, konstruktive gewerblich-sozialistische Zusammenarbeit!
Leider denkt der Vizepräsident natürlich nicht so konsequent, sondern fordert mit kernigen Worten eine Imagekampagne, gesponsert von den grossen Detailhändlern Migros und Coop. Er erinnert mich an Winnie the Pooh, der Honig schlecken will, ohne zu merken, dass die Töpfe leer gefressen sind. Mit einem Appell an das schlechte Gewissen jeder Schweizer Konsumentin kann das Problem der Disparität zwischen Lohn, Produktionsbedingungen und Lebensmittelvorschriften sicher nicht gelöst werden.
Zudem macht man da den Bock zum Gärtner (oder gar den Gärtner zum Bock?). Denn nicht die Konsumentinnen und Konsumenten sind die Schuldigen am Missverhältnis über die Grenzen hinweg, sondern die grundfalschen politischen Vereinbarungen und die fehlenden richtigen Anreize für einen echten Freihandel zerstören unser aller Wirtschaftskraft. Was die neoliberalen Globalisierer uns ständig verneinen, gehört nämlich wie die Butter zum Brot.
Shopping Schweiz vs. Ausland: Mit Imagekampagne ist nichts zu machen. /


Da verhindern Banken, Grossindustrie Hand in Hand mit den Gewerblern (zu denen die Autorin auch gehört), die politisch oft unterbelichtet sind, seit Jahrzehnten jede Art von internationaler Übereinkunft punkto Sozialleistungen, menschenwürdigen Löhnen sowie Qualitätsstandards für Produkte. Sie liberalisieren den Markt so, dass Kinderarbeit sich lohnt, dass die Chemie weiter jubiliert und dass die Petrodollars ungehindert die autoritären und diktatorischen Regime bereichern.
Der Gewerbeverband ist immer zuvorderst, wenn es darum geht, jegliche Sozialleistungen, jede Neuerung im Arbeitsbetrieb, jede Lohnvereinbarung etc. zu verhindern. Der Gewerbeverband ist auch einer der harten Bastillionen, wenn es darum geht, die Gleichstellung der Frauen im Arbeitsmarkt zu behindern, obwohl in seinen eigenen Reihen die meisten Frauen ihren Männern die Buchhaltung, das Personal und das Geschäft administrativ leiten.
Und jetzt kommt das grosse Jammern! Klar doch, dass die von den Gewerblern verpönten Arbeiter, die auf ausschliesslich auf ihre AHV angewiesenen Alten und die diskriminierten Migranten mit niedrigen Löhnen statt im Inland lieber im grenznahen Deutschland, Frankreich und in Österreich einkaufen! Zumal auch viele Deutsche nach ihrer Schweizer Einwanderung mit Schrecken realisieren, dass hierzulande zwar die Löhne höher, doch die Lebenskosten ebenso hoch sind! Da nützen alle Imagekampagnen und Bewusstseinsappelle des schweizerischen Gewerbeverbandes nichts, um den Schweizern ein schlechtes Gewissen einzureden. Als Mutter von drei Kindern verstehe ich Jede, die im Ausland für die Hälfte der Schweizer Preise das Doppelte an Waren einkaufen will und muss.
Schade, dass der Gewerbeverband keine Geschichtsbücher konsultiert! Schade, dass der Gewerbeverband seine Verbündeten bei der Grossfinanz, der SVP und der Pharmaindustrie sucht! Schade, dass der Gewerbeverband auf eine unproduktive Armee statt auf eine nachhaltige Energieversorgung setzt! Schade, dass der Gewerbeverband aus ideologischen Gründen jede Sozialleistung schon nur beim Buchstabieren bekämpft! Schade, dass der Gewerbeverband mit den Gewerkschaften kaum Freundschaften pflegt (oder sind es die Gewerkschafter, welche genau diese Chance verpassen?)!
Doch vielleicht ist die Zeit nun reif, dass sich viele selbständige Gewerbler und viele öffentlich-rechtlich angestellte Sozialdemokraten endlich ihrer gemeinsamen Interessen bewusst werden. Schliesslich soll es ja auch Ehen geben, die zwischen einer Sozialdemokratin und einem Gewerbler funktionieren - und klar doch: Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich immer zuletzt...