von Patrik Etschmayer / Quelle: news.ch / Montag, 16. Mai 2011 / 11:32 h
Es ist eine Art Sport geworden, einer der mit gewissen Risiken für die Fairness verbunden ist, denn wenn Plagiatsjäger jemanden öffentlich verdächtigen, dann steht die Anschuldigung im Raum. Bestätigt sich der Verdacht nicht, verläuft die Suche einfach im Sand aber es erfolgt kein ebenso öffentlicher Freispruch und der Verdacht könnte hängen bleiben. Doch in den jetzt aktuellen Fällen dürfte der Schuldspruch, so er noch nicht erfolgt ist, schon bald fallen.
Die «Opfer» der Plagiatspolizei sind zuallererst Karl Theodor zu Guttenberg, der einstige CSU-Hoffnungsträger für das Bundeskanzler-Amt, Silvana Koch-Mehrin, FDP-Europapolitikerin und bis zur Affäre eine Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments und schliesslich Veronica Sass, deren Pech es wohl vor allem ist, Tochter von ex-CSU-Chef Edmund Stoiber zu sein, und die nur durch diese Prominenz in das Fadenkreuz der Plagiatsjäger gelangt ist - eine Art Kollateralschaden.
Ebenfalls auf der sogenannten «Vroni-Plag»-Seite unter die Lupe genommen und ziemlich angeschlagen sind der CDU-Landes-Politiker Matthias Pröfrock und der FDP-Europa-Politiker Georgios Chatzimarkakis, deren Dissertationen scheinbar 49 und 21% Plagiat enthalten - ob aus Vorsatz oder nicht, sei noch dahin gestellt.
Was jedenfalls auffällt, ist die Tatsache, dass bis jetzt nur Politiker aus dem bürgerlichen Spektrum den Plagiatsjägern vor die Flinte gekommen sind und denn auch abgeschossen wurden. Nun muss man sich fragen: Wird nur rechts von der Mitte abgeschrieben, wird nur denen rechts von der Mitte in die Dissertationen geschaut, oder liegt's an etwas anderem?
Es handelt sich bei den überführten und angeschuldigten ja ausgerechnet um jene, die auf das Leistungsprinzip pochen, die finden, dass Geschenke nicht angebracht seien, jeder seines eigenen Glückes Schmid sein soll, dass der ökonomische Primat auch das persönliche Leben beherrschen soll.
Nun haben sich in den letzten Jahrzehnten in der Wirtschaft gewisse moralische Massstäbe etabliert, die nicht zuletzt zum Kollaps von 2008, zur Rezession von 2009 und dramatischen Krisen auf den internationalen Märkten geführt haben. Die darauf folgenden verzweifelten Rettungsaktionen haben dabei zwar viele Banken und die Finanzmärkte vor dem Kollaps gerettet, aber eine Verhaltensänderung der ökonomischen big Players lässt sich nicht feststellen. Der Zynismus des totalen Eigennutzes wird immer noch als ideal gepredigt. Ja, jetzt erst recht.
Könnte es sein, dass es eine Wechselwirkung zwischen Wirtschaft und manchen wirtschaftsfreundlichen Politikern gegeben hat? Oder gar eine einseitige Beeinflussung in jenem Sinne, dass der Zweck die Mittel heiligt? Wenn es zeitlich ob der ganzen Parteiämter nicht für einen sauberen Doktortitel reicht, wird eben etwas abgekupfert, kopiert und eingefügt. Denn die Vorteile eines Doktortitels, wenn es um Lohn und Prestige geht, sind ganz klar. Und bis zum Fall «Guttenberg» hin hätte wohl auch kaum einer der Plagiatoren gedacht, dass man ihn oder sie erwischen würde.
Rein ökonomisch gesehen war der Doktorenbeschiss also durchaus vertretbar, stellte dieser doch ein geringes Risiko mit erheblichen Ertrags-Chancen dar. In etwa wie in Kreditpapieren eingewickelte Ramschhypotheken. Nur mit dem Nachteil, dass auf der akademischen Ramschhypothek auf jeder Seite der Name des Urhebers drauf steht.
Die deutsche Doktorendämmerung setzte erst in jenem Moment ein, als es durch das Internet möglich wurde, verdächtige Dissertationen im Parallel-Processing durch Hunderte Wiki-Teilnehmer gleichzeitig zu prüfen. So konnten selbst 500-Seiten Monster in wenigen Tage recht gründlich durchleuchtet werden. Umso ironischer ist dabei vermutlich, dass ausgerechnet das Internet, das Plagiate zu produzieren so einfach machte, nun auch das Verderben der Abschreiber einläutete.
So wird nun jeder moralisch bankrotte Doktorand mit politischen Ambitionen zweimal darüber nachdenken, ob er «ctrl+c - ctrl-v» als integralen Bestandteil seines akademischen Werdegangs etablieren will. Oder doch lieber einen Ghost-Writer anstellen - denn diese garantieren angeblich plagiatfreie Arbeit. Und wem es dafür finanziell nicht reicht, dem sei harte Arbeit empfohlen, so unsexy dies auch sein mag.