fest / Quelle: pd / Sonntag, 13. Oktober 2024 / 18:02 h
Binia Bill, geboren 1904 in Soest, Deutschland, führte ein Leben voller kreativer Energie und künstlerischer Wandlungen. Sie war die jüngste der drei Töchter von Ida Spoerri-Gross und Ferdinand Jakob Spoerri, der es von einem Bauernhof im Tösstal bis zum Vertreter der Gebrüder Volkart in Japan geschafft hat. Binia wuchs in Zürich-Fluntern auf und begann in ihrer Jugend Cellozu spielen. Ihre Ausbildung zur Konzertcellistin brach sie ab, um sich 1930 an der Berliner Itten-Schule der Fotografie zuzuwenden. Dort studierte sie unter Lucia Moholy, einer Pionierin der Neuen Sachlichkeit in der Fotografie. Nach ihrer Rückkehr nach Zürich etablierte sich Binia Bill als
freie Fotografin und gewann schnell an Ansehen. Im Jahr 1931 heiratete sie den Künstler und Architekten Max Bill, mit dem sie zahlreiche innovative Projekte realisierte.
Für ihren Lebensunterhalt gestaltete das Ehepaar zahlreiche Werbeaufträge. Dabei steuerte Binia Bill die Fotografien bei, während Max Bill für die Typografie und das Layout verantwortlich war. Parallel dazu widmete sich Binia Bill der Entwicklung ihres eigenen künstlerischen Werks. Ihre Fotografien, hauptsächlich Porträts und Stillleben, zeichnen sich durch eine klare und reduzierte Formensprache aus, die stark von der Ästhetik des Neuen Sehens beeinflusst ist.
Binia Bill experimentierte mit Perspektiven, Oberflächen sowie dem Spiel von Licht und Schatten. Ihre Bilder bestechen durch eine besondere Sensibilität, die ihren einzigartigen Blick auf Objekte, Pflanzen, Tiere und Menschen widerspiegelt.
Aufgabe der Karriere nach Geburt der Tochter
Im Jahr 1942 wurde Binia Bill Mutter und stellte ihre fotografische Arbeit ein. Ihr Werk geriet daraufhin in Vergessenheit. Erst zwei Jahrzehnte nach einer ersten
Retrospektive im Aargauer Kunsthaus im Jahr 2004 rückt die Fotostiftung Schweiz mit der Ausstellung «Binia Bill - Bilder und Fragmente» diese bedeutende Fotografin erneut ins öffentliche Bewusstsein. Diese Bemühungen zeigen eindrucksvoll, wie wertvoll und relevant ihre Arbeiten auch heute noch sind.
Die Ausstellung in Winterthur bietet einen umfassenden und tiefgehenden Einblick in das künstlerische Schaffen von Binia Bill. Rund 150 Vintage Prints, darunter viele bisher unveröffentlichte Werke, werden präsentiert. Diese beeindruckenden Bilder stammen aus dem umfangreichen Archiv der Fotografin, das seit Anfang 2024 in der Fotostiftung Schweiz betreut wird. Dank der grosszügigen Unterstützung von Jakob und Chantal Bill, dem Sohn und der Schwiegertochter der Künstlerin, konnten die Selektionen sorgfältig aufbereitet und neu zusammengestellt werden.
Die Ausstellung ist chronologisch angelegt und verfolgt den künstlerischen Werdegang von Binia Bill. Die frühen Arbeiten aus den 1930er Jahren, stark beeinflusst vom experimentellen Geist der Itten-Schule, stehen in faszinierendem Kontrast zu den reiferen Werken der späteren Jahre, die sich durch eine klare Gestaltung und Reduktion auszeichnen.
Bemerkenswerte Porträts und Stillleben
Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf den Porträts von Binia Bill.
Binia Bill, Selbstporträt, 1930er-Jahre. (Ausschnitt) /

Binia Bill, Katze mit Halskrause, 1930er- Jahre (Ausschnitt). /

Binia Bill, Wanderzirkus, 1930er-Jahre (Ausschnitt). /

Binia Bill, Selbstporträt mit Max Bill, 1931 (Ausschnitt). /

Binia Bill, Selbstporträt, 1930er-Jahre. /

Binia Bill, Ohne Titel, ca. 1932 (Ausschnitt). /

Binia Bill, Atelierhaus Zürich-Höngg, 1933 (Ausschnitt). /


Sie hat zahlreiche Persönlichkeiten aus dem kreativen und intellektuellen Umfeld ihres Mannes abgebildet, darunter Künstler wie Hans Arp, Sophie Taeuber-Arp und Piet Mondrian. Ihre Porträts bestechen durch grosse Einfühlsamkeit und einen scharfen Blick für die Wesenszüge ihrer Modelle.
Neben den Porträts sind auch die Stillleben von Binia Bill bemerkenswert. Sie arrangierte Alltagsgegenstände, Pflanzen und andere Objekte zu komplexen Kompositionen, die durch ihr meisterhaftes Spiel mit Licht und Schatten faszinieren. Diese Stillleben sind nicht nur ästhetisch ansprechend; sie zeugen auch von einer tiefen Auseinandersetzung mit den Objekten und deren Bedeutung.
Die Ausstellung «Binia Bill - Bilder und Fragmente» stellt eine bedeutende Wiederentdeckung dieser vergessenen Künstlerin dar. Sie positioniert Binia Bill als eine der herausragendsten Fotografinnen der Schweiz in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie gehörte zu den wenigen Frauen in der Schweiz, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowohl angewandt als auch künstlerisch mit der Fotokamera tätig waren. Ihre Bilder überzeugen durch zeitlose Ästhetik und feine Beobachtungsgabe. Ihre Fotografien sind heute fester Bestandteil des Bildgedächtnis der Schweizer Moderne. Diese Ausstellung ist ein unbedingtes Muss für alle, die sich für Fotografie und die Kunst der Moderne interessieren.
Rahmenprogramm:
Die Fotostiftung Schweiz bietet ein umfangreiches Rahmenprogramm zur Ausstellung an:
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Führungen: Öffentliche Führungen finden jeden Sonntag um 11:30 Uhr statt.
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Kuratorenführung: Am Sonntag, den 27. Oktober 2024, um 11:30 Uhr führt die Kuratorin Teresa Gruber durch die Ausstellung.
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Vortrag: Am Sonntag, den 19. Januar 2025, um 11:30 Uhr Ausstellungsrundgang mit Thomas Haemmerli, Regisseur und Co-Herausgeber der Publikation «Kreis! Quadrat!». Thema: Binia Bill und die Zürcher Konkreten.
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Workshop: Am Samstag, den 8. Dezember 2024, findet ein Workshop zum Thema «Fotogramm - Gestalten mit Licht» statt. Fotogramme sind Bilder, welche ganz ohne Kamera in der Dunkelkammer entstehen.
19. Oktober 2024 bis zum 26. Januar 2025
Fotostiftung Schweiz
Grüzenstrasse 45
CH-8400 Winterthur
Tel. +41 52 234 10 30
www.fotostiftung.ch
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag 11:00 - 18:00 Uhr, Mittwoch 11:00 - 20:00 Uhr
Eintrittspreise:
Erwachsene: CHF 12.-; ermässigt: CHF 8.-; Mitglieder: freier Eintritt