von Patrik Etschmayer / Donnerstag, 27. August 2009
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Es wird vermutet, dass mit dem Tod von Ted Kennedy, dem letzten der vier Kennedy-Brüder, auch die Bedeutung dieses amerikanischen «Königshauses» sinken und der Obskurität anheim fallen wird. Dies ist durchaus möglich, weshalb es sich lohnt, einen genaueren Blick auf den Aufstieg dieser irischstämmigen Einwanderer-Familie zu werfen, die den USA des 20. Jahrhunderts einen unauslöschlichen Stempel aufgedrückt hat.
Es ist natürlich nicht möglich, bei Familien einen wirklichen Anfangspunkt zu finden. Aber in der Geschichte der Kennedys ist Patrick Kennedy (1823 – 1858) vermutlich die entscheidende Figur und, wie für so viele irische Auswanderer, die grosse Hungersnot von 1845 bis 1849 das einschneidende Ereignis.
Als Drittgeborener auf einem Bauernhof hatte Kennedy keine Aussicht, auf einen grünen Zweig zu kommen, und als in Irland die durch die Kartoffelfäule ausgelöste Hungersnot wütete, suchte der Küfer sein Glück in der Emigration. Am 22. April 1849 begann mit der Ankunft von Patrick die Geschichte der Kennedys – DER Kennedys – in den USA. Schon bald kam seine Verlobte Bridget Murphy nach und er hatte mit ihr fünf Kinder, deren letztes, Patrick John Kennedy, acht Monate alt war, als der Vater an Cholera starb. Seine Mutter erwarb sich einen Schreib- und Kurzwarenladen in Boston, hatte mit diesem Erfolg und legte so den Grundstein für den Aufstieg ihres Sohnes.
J.P., wie er genannt wurde, stieg in die Politik ein, wurde auch in Ämter gewählt, wirkte aber am liebsten hinter den Kulissen. Als sein Sohn Joseph 1914 die Tochter des Bürgermeisters von Boston, Rose Fitzgerald, heiratete, wurde klar: die zweite Generation der US-Kennedys waren teil des Neu-Englischen Establishments geworden – etwas mehr als 60 Jahre nach der Flucht von Patrick vor dem Hungertod in Irland.
Joseph P. Kennedy machte mit Insidergeschäften Millionen am Aktienmarkt und stieg vor dem Crash von 1929 rechtzeitig aus: «Als mir Schuhputzjungen Aktientipps gaben, wusste ich, dass es Zeit war, raus zu gehen!» Sein Vermögen stieg von 1929 bis 1935 um das 45-fache auf US$ 180 Millionen (in heutigen US$ 2,9 Milliarden). Abgesehen von Aktien und Immobilien machte er auch mit Filmen und Spirituosen ein Vermögen.
1932 Unterstützte er Franklin D. Roosevelts Kampagne und wurde nach dessen Wahl dafür mit dem neu geschaffenen Posten des Chefs der Börsenaufsicht belohnt. Als Roosevelt gefragt wurde, warum er einen solchen Gauner in diesen Posten berufen habe, meinte der nur: «Wenn du einen fangen willst, brauchst du einen!»
Das war zu jener dieser Zeit, als Kennedys jüngster Sohn, Edward, auf die Welt kam. Drei ältere Brüder wurden bereits auf die grosse Rolle, die ihnen der Vater zugedacht hatte, vorbereitet. Doch es war als erstes der Vater selbst, der einen weiteren Aufstieg der Familie blockierte. 1938 wurde er zum Botschafter der USA in England berufen. Dort betätigte er sich – ohne Autorisierung seiner Regierung – als Appeasement-Politiker, der selbst 1940 noch versuchte, mit Hitler zu verhandeln und behauptete, Grossbritannien kämpfe nicht für die Demokratie, sondern nur um die Selbsterhaltung.
Er wurde in der Folge zum Rücktritt gedrängt, seine Chance, weiterhin erfolgreich Politiker zu sein oder gar Präsident zu werden, waren dahin. Diese Träume mussten nun seine Söhne erfüllen.
Doch der designierte «Thronfolger» – Joseph P. Jr., sein ältester Sohn – starb bei einem freiwilligen Luftwaffeneinsatz über England im August 1944.
Auch der zweite Sohn, John F. Kennedy, kam beinahe im Krieg um. Doch er überlebte den Untergang seines Bootes, erlitt dabei aber einen Rückenschaden, der ihn für sein restliches Leben quälen sollte.
Was dann folgte, war einer Shakespeare-Tragödie durchaus würdig: Der Aufstieg in höchste Höhen und Tod durch Mörderkugeln sowohl von John F. als auch seinem Bruder Robert, der während seiner Präsidentschaft Justizminister war. Doch schon zuvor wurde John F. Kennedys Leben von Dramen überschattet: Seine Frau erlitt 1955 eine Fehlgeburt, 1956 brachte sie ein Kind tot zur Welt und das jüngste Kind von Kennedy, Patrick, benannt nach dem Gründer der Dynastie, wurde als Frühchen geboren und starb nach zwei Tagen.
Als dann 1999 auch John F. Kennedy Junior, dessen Bild, wie er den Sarg seines Vaters als dreijähriger Knirps salutierte, schreckliche Berühmtheit erlangte, mit einem Privatflugzeug abstürzte, war als letztes Kind von Jack Kennedy noch seine Tochter Caroline übrig, die allerdings keine politischen Ambitionen mehr hat.
Blieb also noch Edward, der letzte Sohn von John Patrick Senior. Seit 47 Jahren war er Senator von Massachusetts. Er hat Flugzeugabstürze, Autounfälle und Skandale überstanden und galt als der unermüdlichste politische Kämpfer für liberale Werte und gegen Diskriminierung. Doch nun ist auch er gestorben und der letzte Kennedy in der Politik ist Edwards Sohn Patrick J., der als Abgeordneter von Rhode Island seit 14 Jahren im Kongress sitzt, aber eher durch Zwischenfälle wie Fahren in angetrunkenem Zustand und Entziehungskuren von sich reden macht als durch grosse politische Würfe.
Es sieht so aus, als wäre die Zeit von «Camelot», wie die Regierung von Jack Kennedy einst genannt wurde, endgültig vorbei. Dabei haben sicher Unglücke und Attentäter eine grosse Rolle gespielt. Doch vermutlich ist auch die Zeit der Dynastien vorbei. Mächtige Familien verheissen zwar Glamour aber auch Vetternwirtschaft und Korruption, Dinge, die in der Geschichte der Kennedys ebenso eine wichtige Rolle gespielt haben, wie Ehrgeiz und skrupellos ausgelebter Machtinstinkt.
Und selbst ein John F. Kennedy hätte heute keine Chance mehr. Damals hüllte die Presse einen Mantel des Schweigens über seine Tablettensucht und die zahllosen Affären, die er hatte. Heute wäre ein solches Verhalten undenkbar.
Mit Edward «Ted» Kennedy ist ein Zeitalter zu Ende gegangen, welches Politiker «Bigger than Life» hervorbrachte. Doch diese Zeiten, in denen Patriarchen und Matriarchinnen die Geschicke von Nationen zu steuern suchen, wie etwa die Frau von John Patrick, die 1995 mit 105 Jahren starb, sind hoffentlich vorbei.