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Kolumne


Kruzifix-Streit: Katholiban im Oberwallis

von Patrik Etschmayer / Freitag, 22. Oktober 2010

Die Taliban gelten als fanatisch religiöse, durch keine zivilisatorische Gesetze zu bändigende Krieger, die sich vorzugsweise in engen Bergtälern verschanzen. Dort, wo sie die Macht innehaben, setzen sie altertümliche, religiöse Gesetze mit gnadenloser Härte durch und treiben den Bewohnern jegliche weltliche Aspirationen gnadenlos aus.

Betrachtet man die geographischen Rahmenbedingungen, die von diesen Fanatikern bevorzugt werden und sucht in Europa nach entsprechenden Orten, fällt fast zwangsläufig eine Gegend in der Schweiz ins Auge: Das Oberwallis. Ein enges Tal, von drei Seiten von Felsgiganten gesäumt, noch schroffere Seitentäler, die den Bewohnern nur ein bescheidenes Auskommen bescheren und unten eine isolierende Sprachgrenze.

Was Anfangs absurd scheint, wird bei näherer Betrachtung durchaus konkret. Die Machtstrukturen werden von Clans und einer religiös dominierten Partei beherrscht, einer CVP, die hier noch in der Lage ist, für ihre Schäfchen zu sorgen. Dabei besteht eine verhängnisvolle Vereinigung von zwei Strukturen, die in einer säkularen Gesellschaft sauber getrennt sein müssten: Kirche und Staat.

Stattdessen indoktriniert die katholische Kirche die Bewohner mit Hilfe der öffentlichen Schulen schon von Kindesbeinen auf, bei gleichzeitiger Ausgrenzung der und sozialem Druck auf die «Ungläubigen». Schulstunden werden zugunsten von Proben für Gottesdienste ausfallen gelassen und es geht soweit, dass im Walliser Schulgesetz Lehrer gefordert sind, Schülern auf ihre Aufgaben als Menschen und Christen vorzubereiten.

Ja, hoppla. Seit wann ist religiöse Indoktrination in einem Land, in dem einer der wichtigsten Grundsätze Religionsfreiheit ist, Aufgabe der staatlichen Schulen? Das Wallis wird doch nicht einfach dreist die Bundesverfassung missachten? Aber natürlich tut es das.

So kann zum Beispiel von einem nicht gläubigen Lehrer verlangt werden, dass er mit seinen Schülern Gottesdienste besucht oder diese gar veranstaltet, auch wenn dies nirgends explizit im Schulreglement festgehalten ist. Doch wer im Wallis als Lehrer arbeiten wolle, wisse ja, worauf er oder sie sich einlasse – die Religionsfreiheit spielt dabei keine Rolle.

Einer, der es scheinbar nicht wirklich wusste, dass das Staatsverständnis im Oberwallis bis in die Behörden hinein jenes einer Vatikan-Exklave und nicht eines der Bundesverfassung unterstellten Kantons ist, ist der Lehrer Valentin Abgottspon. Dieser hängte in seinem Schulzimmer der Orientierungsstufe das Kruzifix ab. Und wurde für diesen Akt des Ungehorsams gegenüber dem Papst, äh, den Walliser Schulbehörden, fristlos entlassen. Über eine Beschwerde mit aufschiebender Wirkung gegen diese Entlassung soll in kürze Entschieden werden, doch egal, was da entschieden wird, der Fall ist noch lange nicht ausgestanden.

Wer sich je gewundert hat, wie Bewohner des afghanischen Berglandes die Macht der Taliban tolerieren können, sieht ein etwas zivilisierteres Modell im Oberwallis: Indoktrination von Klein auf, gesellschaftlich sanktionierte Denkverbote, Ausgrenzung von Aussenseitern, der unbedingte Glaube an die Diktatur der Mehrheit und die gleichzeitige Negation von Minderheitenrechten erzeugen eine selbstauferlegte geistige Unterdrückung, die untrennbar mit einem strengen, unbedingten Glauben verbunden ist.

Doch was tun, wenn, wie im luzernischen Triengen, wo eben eine Deutsche Familie, die keinen Hingerichteten im Schulzimmer der Kinder hängen haben wollte, die Ketzer nicht mit Gewaltandrohung und Beschimpfungen vertrieben werden können? Was, wenn der Sünder ein heimischer ist? Valentin Abgottspon, Walliser, der im Wallis aufgewachsen ist, fühlt sich noch nicht gefährdet, auch wenn er schon Aufforderungen bekommen habe, sich umzubringen. Aber er bringt mit seinem Mut, gegen den behördlichen Fundamentalismus aufzustehen, die Illusion des Oberwallis, demokratisch und frei zu sein, heftig ins Wanken, wenn auch nicht genug, um jetzt schon wirklich in die Köpfe der federführenden katholischen Fanatiker einzudringen.

Ja, nicht einmal die Aufforderung des IZS (Islamischen Zentralrats der Schweiz), doch bitte die Kruzifixe hängen zu lassen, scheint einen Einfluss auf die Haltung im Wallis zu haben. Dabei zeigt sich ja genau hier die wahre Frontlinie: Nur wo eine Religion sich im öffentlichen Raum etablieren, den Staat unterwandern und Ansprüche stellen kann, die ihr Verfassungsmässig gar nicht zustehen, kann diese, wenn sich die Gewichte verschieben, auch eine andere Religion beanspruchen. In diesem Sinn ist das katholisch-talibanisierte Oberwallis der perfekte Präzedenzfall für die Islamisten und keineswegs ein Bollwerk der Demokratie, wie dies manche der lautesten Kreuzverfechter gerne glauben würden. Das Gegenteil ist der Fall.


Links zum Artikel:

Die NZZ zum Kruzifix-Krach im Wallis Der Fall, wie er sich bis letzte Woche präsentierte

Protokoll eines Treffens mit den Walliser Schulbehörden Valentin Abgottspon protokolliert hier ein Treffen mit den Walliser Schulbehörden... surreal




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