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Kolumne


Leere Teller, blutige Strassen

Patrik Etschmayernews.ch / Montag, 29. August 2011

Wir würden gerne glauben, dass die Aufstände in Nordafrika nur auf gesellschaftliche Entwicklungen und technische Innovationen, welche diese fördern, zurück zu führen sind. Doch wie auch schon die französische Revolution werden die Umwälzungen nicht zuletzt durch steigende Nahrungsmittelpreise angeheizt. Als der Präsident des New England Complex Systems Institute, Yaneer Bar-Yam, und zwei seiner Mitarbeiter Preisaufschläge in einem Nahrungsmittelpreisindex der UNO mit den Ausbrüchen von Unruhen und Aufständen in Nordafrika und dem Nahen Osten verglichen, kamen sie zu einer beunruhigenden Erkenntnis: Sobald der Preisindex bestimmte Schwellen überschritt, kam es zu Aufständen und Unruhen. Fielen die Preise wieder unter diese Schwelle, herrschte wieder Ruhe.

Bereits 2008 kam es zu verbreiteten Unruhen, welche nur wegen der einsetzenden Rezession und den dadurch fallenden Preisen wieder abgeklungen sein dürften. Doch der durch Spekulation, die Herstellung von Bio-Treibstoff und steigende Öl- und Düngerpreise getriebene Trend, dass Nahrungsmittel immer teurer werden, hält an.

Ein Regime kann sich in der Regel sehr lange halten. Denn viele einfache Bürger werden, wenn sie in ihrer Existenz nicht bedroht sind, keinen Aufstand gegen eine gewaltbereite Regierung wagen. Doch sobald die Fremdbestimmung nicht mehr mit der Sicherung einer zumindest bescheidenen Existenz vergolten wird, wird der Deal mit dem Unterdrücker aufgekündet.

Dies sind die Momente, in denen jene, die sich nach Freiheit sehnen von jenen Unterstützung bekommen, die plötzlich realisieren müssen, dass sie das Essen für ihre Kinder nicht mehr finanzieren können, man selbst hungrig ins Bett geht und noch hungriger aufwacht. Denn das Versprechen autokratischer Regierungen ist ja immer das selbe: «Wir wissen es besser, deshalb lasst uns machen.»

Deshalb auch die Panik in der weltweit grössten Autokratie, in China, vor den auch dort ständig steigenden Lebensmittelpreisen, während die Einkommen mehr oder weniger stagnieren. Wie unser Kolumnist Peter Achten schon mehrmals geschrieben hat, sind die roten Mandarine mächtig unter Druck vom Volk.

Bis jetzt war es so, dass die oben genannten Schwellenpunkte nur zeitweise überschritten wurden, doch wie es aussieht, wird auch die «Grundlinie» der Lebensmittelpreise irgendwann 2012/2013 über diesem kritischen Niveau, die Lebensmittelkrise also permanent im Unruhebereich liegen, wenn nicht schnell durchgreifende Massnahmen ergriffen werden. Und dies nicht nur in Nordafrika sondern auf der ganzen Welt.

Vor diesem Hintergrund ist es illusorisch anzunehmen, dass die Krisenregionen, in denen eine breite Unterschicht bisher knapp ein Auskommen fand, bald zur Ruhe kommen wird, denn immer mehr Menschen werden sich auf der falschen Seite der Hunger-Linie finden und aufbegehren, weil sie schlichtweg nichts mehr zu verlieren haben.

Westliche Demokratien sollten davor eigentlich gefeit sein, doch die Proteste, ja teilweise Aufstände von Spanien über England, Griechenland bis Israel zeigen, dass sich auch hier immer mehr Menschen von den von ihnen gewählten Regierungen verlassen fühlen, die sich mehr um Banken als um Bürger, mehr um das Verwöhnen der Reichsten als um das Versorgen der Ärmsten sorgen.

Die Wurzel der Demokratien in Europa ist die Französische Revolution, eine Revolution geboren aus Hunger, Armut und Wut auf Ungleichheit. Eine neue war bisher nicht nötig, weil die Gesellschaft und die Staaten sich immer wieder selbst erfinden, und reformieren konnten. Doch wenn jene, die vom Volk das Mandat bekamen, für Wohlstand und Sicherheit zu sorgen für einen wesentlichen Teil des Volkes genau diese Aufgabe ignorieren, ja die eigenen Wähler enteignet und entrechtet und wenn schliesslich wie in Griechenland auch noch die Teller vieler Menschen leer bleiben, darf sich niemand mehr über Blut in den Strassen wundern.


Links zum Artikel:

Weitere Informationen Artikel in «Wired» zur Forschung von Yaneer Bar-Yam.

Weitere Informationen Artikel von Yaneer Bar-Yam.


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