Patrik Etschmayer / Montag, 5. September 2011
Die westlichen Demokratien sind momentan in einer Krise und egal wie viel oder wenig man von Barack Obama hält, seine jüngste Aussage, dass die Politik kaputt sei, lässt sich nicht wirklich bestreiten.
Kaum jemand glaubt noch wirklich an die Behauptung, dass die Politiker tatsächlich die Interessen des Volkes vertreten. OK, mit Ausnahme der Wähler von populistischen Bewegungen, die - wie jetzt zum Beispiel in Italien zu sehen ist - erst dann richtig enttäuscht werden, wenn sie nach einigen Jahren sehen, dass auch bewunderte Idole den ihnen folgenden Schafen am Ende nicht nur die Wolle abnehmen sondern gleich auch noch das Fell über die Ohren ziehen.
Doch was steht einem denn zur Wahl, wenn nicht Parteien? Wie wäre es mit Personen, statt Organisationen. Denn seien wir doch ehrlich, ein Grossteil der Probleme entsteht doch nur dadurch, dass viele Leute einfach Parteilisten in die Urne schmeissen und gut ist's. Oder wissen SIE wirklich, wen sie da genau wählen? Wann liessen sie sich das letzte Mal von ihrem Nationalrat persönlich von seiner Wahl überzeugen? OK, die Spitzenvertreter sind einem jeweils halbwegs bekannt.
Doch spätestens ab Listenposition 3 wird es jeweils obskur. Und je weiter runter, desto weiter geht es hinab in die politische Terra Incognita.
Der viel zitierte «Smartspider» ist dabei kaum Entscheidungshilfe, das heisst, er dient als solche, kann sein Versprechen aber nicht erfüllen. Abgebildet wird eine Anzahl von Postionen, die nichts mit der Integrität, Ehrlichkeit, nichts mit dem Fleiss oder dem Gefühl der Verpflichtung gegenüber der Wählerschaft des jeweiligen Politikers zu tun haben. Vor allem entspricht dieses komische Gebilde meist dem Profil der Partei, welcher der Politiker angehört, vor allem, wenn er brav nach Parteilinie abstimmt (ob aus Faulheit, Überzeugung oder mangelndem Rückgrat, ist dabei nicht fest zu stellen).
Und das ist genau das Problem. Die Partei. Parteien sind angeblich die Säulen der Demokratie. Doch sie sind vor allem die Säulen der Macht. Sie sind Organisationen, die den Geschmeidigen mit Rasierklingen an den Ellbogen, den Anpassungsfähigen, jenen mit einem Rückgrat aus Gummi und dem Gewissen eines Fleischwolfes, den Aufstieg erlauben. Üble Nachrede? Man schaue nur mal Blair, Schröder, Merkel, Sarkozy, Westerwelle, Zapatero, Couchepin, Leuenberger, Brunner, Feymann, Urban, ach jeden verdammten Spitzenpolitiker an, der sich in einer Partei hochdienen musste.
Parteien belohnen Konformismus, Kadavergehorsam, Obrigkeitshörigkeit (zumindest für die Parteiführung). Jene, die anecken, die Glaubenssätze herausfordern, Dogmen hinterfragen, die einfach nicht daran glauben, dass ein vor 10 Jahren festgeschriebenes Programm in einer unendlich komplexen Welt adäquat ist, die richtigen Antworten zu finden, haben in einer Partei keine Chance. Mithin jene, die sich am tiefsten mit einem Problem auseinandersetzen und so womöglich das grösste Wissen darüber besitzen, werden so daran gehindert, es zu Teilen und zum Nutzen der Allgemeinheit einzusetzen.
Parteien sind Nivellierungsmaschinen und, wie es immer klarer wird, die Totengräber der Demokratie. Da die «Volksvertreter» vor allem zu Lobbyisten geworden sind, die im Dienste von spendengeilen Politvereinen ihre Arbeit verrichten, die sich bei jedem Schritt nach oben etwas mehr von ihrer Integrität und Moral trennen müssen, ist es auch klar, dass sich in den Topetagen der Demokratien kaum noch Personen finden, die differenziert und klug handeln, sondern nur solche, die aus Furcht um ihren Listenplatz und die Machtprivilegien, nur auf die nächste Wahl vorbereiten.
Man stelle sich vor, man müsste sich vor jeder Wahl erst mal mit allen Kandidaten des Wahlkreises auseinandersetzen, würde alle Kandidaten ausführlich in Interviews und an Diskussionsrunden kennenlernen müssen, bevor man eine Entscheidung treffen könnte. Man stelle sich vor, alle Kandidaten müssten als Persönlichkeit und nicht als Parteikasper vor das Volk treten und die einzige Chance, auf die Wahlliste zu kommen wäre, vom Wähler eigenhändig darauf geschrieben zu werden! Mühsam, langwierig, anstrengend?
Ja, sicher, so würde die Demokratie wieder unglaublich anspruchsvoll werden, sicher. Aber auch faszinierend, lebendig und vor allem eines: demokratisch.